Psychologe und Ethikrat-Mitglied Dr. Michael Wunder schreibt im Hamburger Abendblatt.

Hamburg. Sarah, die ihr Kind in der Babyklappe abgelegt hat, versteht nicht, warum der Ethikrat gegen Babyklappen ist. Sarah ("Warum ich mein Kind in die Babyklappe legte"; HA vom 15. Dezember) glaubt, dass die im Ethikrat gar nicht wissen, wie man sich als Mutter in einer solchen Situation fühlt, und hätten deshalb so entschieden. Wie das Abendblatt richtig schreibt, können Frauen Neugeborene in einer Babyklappe anonym abgeben, wenn sie glauben, mit dem Aufziehen eines Kindes nicht fertig zu werden.

Genau darum geht es. Die Mitglieder des Deutschen Ethikrats wissen wie viele andere Menschen in unserer Gesellschaft, dass es Mütter in dieser Not gibt. Meist junge Mütter, die Angst haben, dass ihre Schwangerschaft herauskommt, die niemanden haben, dem sie sich anvertrauen können, die nicht mehr ein noch aus wissen. Für diese Mütter in Not gibt es eine Reihe von Angeboten: die kostenlosen Nottelefone, die Schwangerschaftsberatungsstellen von Diakonie, Sozialdienst katholischer Frauen, Pro Familia und anderen, bis hin zu den Möglichkeiten, das Kind beschützt in einer anderen Stadt zur Welt zu bringen, wo einen keiner kennt, um es dann von dort in ein Adoptionsverhältnis zu vermitteln. Warum sollen alle diese Angebote unnütz sein, wenn Frauen glauben, mit dem Aufziehen ihres Kindes nicht fertig zu werden?

Der Ethikrat glaubt das nicht und tritt für die Nutzung dieser Angebote ein. Ergänzend empfiehlt er, das Gesetz zu ändern und in Notfällen eine vertrauliche Kindesabgabe mit vorübergehender Anonymität (bis zu einem Jahr) zu erlauben. Damit ist ein angemessener Zeitraum größtmöglicher Vertraulichkeit für die Mutter zur Lösung ihrer Probleme gegeben, ohne die Rechte des Kindes zu missachten. Denn: Die Herkunft des Kindes wird in der von der Frau gewählten Beratungsstelle in einem verschlossenen Umschlag aufbewahrt und erst danach an das Einwohnermeldeamt weitergegeben. Das Kind soll später ab 16 Jahren die Möglichkeit haben, seine Herkunft zu erfahren. So sieht es das Adoptionsgesetz mit Recht vor, so fordern es die Uno-Kinderrechtskonvention und der Europarat. In Rumänien gibt es heute eine ganze Anzahl junger Menschen, die von ihren Müttern als Säuglinge verlassen wurden und die niemals mehr die Möglichkeit haben zu erfahren, wer ihre Eltern sind. Dies macht viele der Betroffenen psychisch krank, wie ich aus eigener jahrelanger Arbeit in rumänischen Waisenhäusern weiß. In Frankreich gibt es 400 000 Menschen der Generation X, die anonym geboren wurden und die heute jedes Jahr im Mai in Paris demonstrieren, auf ihr Leid aufmerksam machen und die Änderung der französischen Gesetze, die die anonyme Geburt erlauben, fordern.

Dies alles hatte der Ethikrat abzuwägen. Verkennt man die Not der Mütter, wenn man die vertrauliche Geburt fordert, die Zusicherung der Anonymität für ein Jahr, aber die Wahrung des Rechts des Kindes auf Wissen seiner Herkunft? Warum hätte Sarah nicht den Weg gehen können, vertraulich zu entbinden und sich einer Beratungsstelle anzuvertrauen? Die Angst vor dem Amt ist das eine, ist sie aber gleichzusetzen mit der Angst vor der Beratung freier Träger? Oder ist es eher ein Informationsproblem? Babyklappen sind in aller Munde, die schon lange im Stillen arbeitenden sehr guten Beratungsangebote nicht.

Babyklappen retten kein Leben. Die Zahl der Kindstötungen liegt vor der Zeit der Babyklappen und seitdem wir Babyklappen in Deutschland haben - es sind etwa 80 bundesweit - bei rund 20 Fällen pro Jahr. Frauen, die ihr Kind töten, erreichen wir mit den Babyklappen nicht. Erreicht werden Frauen wie Sarah, deren Not mit keinem Wort in Abrede gestellt werden soll, für die es aber andere und bessere Wege gibt. Was wäre gewesen, wenn Sarah ihr Kind nicht wieder zu sich geholt hätte? Das ist mittlerweile bei etwa 300 Müttern der Fall, die ihr Kind in einer Babyklappe abgelegt haben und sich nicht mehr gemeldet haben. Diese Kinder haben später keine Möglichkeit mehr zu erfahren, woher sie kommen und wer ihre Eltern sind. Und ebenso haben die Mütter keine Möglichkeit mehr, jemals zu erfahren, was aus ihrem Kind geworden ist.

Die Geschichte von Sarah ist gut ausgegangen. Jeder der sie liest, freut sich. Aussetzen wäre viel zu gefährlich gewesen, sagt Sarah. Sie habe nur Zeit gebraucht, bis sie ihr Kind annehmen konnte. Genau dies wäre auch mit den genannten Diensten und ohne Klappe möglich gewesen - mit weniger Risiko für diejenigen Kinder, die nicht wieder herausgeholt werden.