Axel Tiedemann fragt spontan Menschen, was sie gerade bewegt, lädt sie auf einen Kaffee ein und lässt sie erzählen. Heute: Wandergeselle Marius Gau

Was in einigen Jahren sein wird, was mit Beruf, Karriere, Zukunft? Marius Gau zuckt fröhlich lächelnd die Achseln. "Keine Ahnung, ich will jetzt erst einmal nach Indien", sagt der 25 Jahre alte Tischlergeselle. Schreiner, so heißt es in seiner Heimat in Saarbrücken. Seit August 2007 ist er in seiner schwarzen Kluft des Gesellen-Schachts Freier Vogtländer unterwegs. So will es die Tradition, die bis weit ins Mittelalter reicht.

Drei Tage und einen Tag dürfen sich Wandergesellen nicht der Heimat nähern. Sie dürfen nicht verheiratet sein, keine Kinder haben und müssen einen guten Leumund nachweisen. Kreuz und quer ist er schon durch Deutschland gereist, hat auch in Ungarn und Rumänien gearbeitet. "Wir reisen, um zu arbeiten, und arbeiten, um zu reisen", sagt er und trinkt im Stehcafé am Rathausmarkt seinen Kaffee. Einen großen Latte macchiato übrigens. Das mögen auch Wandergesellen heute.

Im Rathaus hat er sich gerade das Stadtsiegel für sein Wanderbuch abgeholt. Auch so eine Tradition aus dem Mittelalter, als das Siegel quasi so etwas wie eine Aufenthaltsgenehmigung war. Heute gibt es dazu im Hamburger Rathaus immer noch einen Beauftragten, der den Wandergesellen einen schönen Stempel ins Buch drückt.

Zuletzt hatte er einen Stempel in Hannover bekommen, wo er mit einem weiteren Gesellen eine Einbauküche gebaut hatte, um dann wieder weiterzuziehen. In Hamburg übernachtete er die erste Nacht bei Bekannten, die er während seiner Reisen kennengelernt hatte. Heute will er noch Reedereien abklappern, um seinen Traum wahr zu machen. "Ich möchte mit einem Frachter nach Indien, dort kenne ich einen Schreiner." Hand gegen Koje, Arbeit gegen Überfahrt - so will er es machen. Vielleicht klappt es ja. "Mal sehen, was der Tag bringt", sagt er, trinkt den letzten Schluck und macht sich auf in Richtung Hafen.