Noch heute höre ich die Wut in seiner Stimme. Der alte Mann sitzt vor mir, sein ganzer Körper zittert. Warum soll das die Lösung sein? Damals hatte Deutschland gerade dem Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zugestimmt. Durch den Terroranschlag auf das World Trade Center setzte sich die Kriegsspirale in Bewegung. Die "unverbrüchliche" Solidarität hatte den Bundeswehreinsatz zur Folge. Niemand habe sich die Entscheidung leicht gemacht, betonten damals alle Politiker.

Die Kriegsberichtserstattung in Fernsehen und Zeitungen untermauerte die historische Entscheidung. Die Sachzwänge seien zwingend. Sogar friedliebenden Menschen erschien der Einsatz zunehmend als einzige Lösung. Erstaunlich, wie schnell der Tabubruch vollzogen war. Der alte wütende Mann aber hätte alles darum gegeben, diese Bilder nicht mehr sehen zu müssen. Ihm steckte der Krieg noch in den Knochen. Er wusste, wie sich Krieg anfühlt: der Schmerz, die Angst, die Grausamkeit. Er wollte den Anfängen wehren. Er und andere seiner Generation waren feinfühlig und reagierten heftig. Ich freute mich. Auch die Jugendlichen unserer Gemeinde waren tief beeindruckt. War es nicht das, was ihnen unermüdlich eingetrichtert wurde? Nie wieder Krieg! Und dann dieser Wendepunkt in der Geschichte. Auf einmal ging es wieder? Seitdem sind einige Jahre vergangen. Wir haben leidlich erfahren, dass in Afghanistan bisher kein Frieden geschaffen wurde. Dafür sind viele zivile Opfer und Soldaten, auch Deutsche, getötet, verwundet oder traumatisiert. Auch ihnen gilt unsere Trauer am morgigen Volkstrauertag.

Der alte Mann ist gestorben. Die Zeitzeugen der Weltkriege werden rar. Ihre Stimme können sie nicht mehr erheben. Wir machen eigene Erfahrungen mit Krieg. Wie viele Tote wird es geben, bis wir die Einsicht des alten Mannes teilen?

Pastorin Anja Blös, Finkenwerder (Mail: bloes.finkenwerder@kirche-hamburg.de ).