Der Hamburger Michel ist ein Phänomen. Unerschütterlich stehen die Hanseaten zum Wahrzeichen ihres Stadtstaats, auch wenn sich dessen Bürgermehrheit längst aus den christlichen Kirchen verabschiedet hat.

Über alle Austrittswellen hinweg lassen sich die Hamburger dennoch nicht lumpen, wenn es gilt, für den Erhalt und die Erneuerung des symbolkräftigen Barockbaus zu spenden.

Nur dank hanseatischer Großzügigkeit können an diesem Sonnabend die sechs Glocken von St. Michaelis das Ende der jahrelangen Sanierung einläuten.

Das Datum ist kein Zufall. Denn der 31. Oktober gilt als Geburtstag der evangelischen Kirche. Vor genau 492 Jahren hat der abtrünnige Mönch Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt, jedenfalls der Legende nach. Traditionell versammeln sich seitdem an diesem Abend die Luther-Christen, deren Glaubenskern von der Überzeugung getragen wird, dass der sündige Mensch nur durch Glauben erlöst wird - und niemand seine Schuld mit Zahlungen an die Kirche freikaufen kann, wie 1517 noch viele glaubten.

Wer heute für den Michel spendet, wird kaum darauf spekulieren, damit seine Seele zu retten. Das ist gut so und könnte als später Sieg Luthers gesehen werden, auch wenn der damit heute nicht mal Widerspruch von katholischer Seite ernten würde. Irgendwie zeitgemäß erscheint ebenfalls der "Gotteskasten" von 1763, eines der alten Ausstattungsstücke im Michel. In ihm wurde Geld gesammelt, das nicht mehr den Geistlichen, sondern den Armen zufloss. Der Michel ruht auf festem Fundament.

Doch die Kirche steht vor größeren Herausforderungen, als ihre schönsten Bauten zu erhalten. Sie muss jeden Spender als potenziell Glaubenden ansprechen. Sonst wird sie trotz Geldtropfs nicht überdauern.