Der Michel wurde von den Baumeistern Ernst Georg Sonnin und Johann Leonhard Prey in den Jahren 1750-1762 errichtet. Während Prey als konservativ galt, war Sonnin ein genialer Autodidakt, der nie eine Ausbildung beendet hatte.

Der Streit zwischen den beiden war programmiert, zumal Sonnin beschloss, den Kirchturm mithilfe eines Innengerüstes zu bauen. Das hatte vor ihm noch niemand gemacht. Vielleicht waren die Baumeister-Querelen schuld, dass der Turm erst 24 Jahre nach der Einweihung der St. Michaeliskirche fertig wurde. Noch während der Bauarbeiten starb Prey und überließ Sonnin das Feld. Dieser hat nicht nur das Aussehen des Michels geprägt, sondern war auch sozial engagiert: Er stiftete 1762 den "Gotteskasten", in dem früher Geld für die Armen gesammelt wurde, und der einen Ehrenplatz im Michel hat.

Im 17. Jahrhundert war es für helle, lichtdurchflutete Kirchen üblich, den Erzengel Michael als Namensgeber zu wählen. Dahinter steckt die hebräische Frage: Wer ist wie Gott - Mi-cha-el? Als logische Antwort darauf wurden viele prächtige Kirchen Christus- oder Michaeliskirche genannt.

Den Kosenamen "Michel" haben die Seeleute eingeführt. Für sie war der Turm von St. Michaelis das Letzte, was sie bei der Abfahrt und das Erste, was sie bei der Ankunft sahen.

Alexander Röder ist der 17. Hauptpastor. Seine Predigten haben die heutzutage übliche Länge von 15 bis 20 Minuten. Seine Vorgänger im 18. und 19. Jahrhundert waren verpflichtet, Zwei-Stunden-Predigten zu halten. Diese mussten sie veröffentlichen - Ziel war die Missionierung, aber auch die Belehrung des Volkes. Zum Ausgleich waren die Pastoren laut Wahlordnung von 1801 "befreit von lästiger Seelsorge".

Die Tradition der Türmer gibt es, seit der Michel 1762 erbaut wurde. Anfang der 90er-Jahre drohte das Aus: Der damalige Türmer Hans-Heinrich Fiedler ging nach 33 Arbeitsjahren in den Ruhestand, der Gemeinde fehlte das Geld, einen neuen anzustellen. Genau zu der Zeit kam ein Brief aus New York. Henry Stoffers, der einst als armer Hamburger Jung zur Konfirmation einen Anzug von der Michel-Gemeinde geschenkt bekommen hatte, hatte sich daran auf seinem Sterbebett erinnert. Er vermachte dem Michel 200 000 Dollar, damals 324 000 Mark. Das Geld wurde angelegt, zwei Türmer wurden angestellt, die noch heute aus diesem Fond bezahlt werden.

Abends kurz vor 21 Uhr öffnet sich oft ein Fenster einer dem Michel gegenüber liegenden Wohnung. Dort wohnt eine Frau, deren Tochter in München oft Heimweh nach Hamburg hat. Wenn der Türmer gen Osten bläst, hält die Frau den Telefonhörer aus dem Fenster. So kann ihre Tochter die vertrauten Töne auch 700 Kilometer weit entfernt hören.

Im vergangenen Jahr fand man bei der Sanierung ein altes, dänisches Fünf-Öre-Stück, das ein Arbeiter 1912 in den Putz der Außenfassade gedrückt haben muss.

Als im vorletzten Jahre die Gräber in der Michel-Gruft auf Risse untersucht wurden, mussten die Archäologen einige Gräber öffnen. Sie waren erstaunt, als sie in den Gruften der als so bescheiden geltenden Hamburger, die sich im Armeleute-Stadtteil haben begraben lassen, prunkvolle Kronen entdeckten. Die Fundstücke werden demnächst in der Krypta ausgestellt.