Viele Bürger glauben, die Polizei würde ohnehin nichts tun: Opfer und Zeugen lassen sich immer mehr Zeit, bevor sie 110 wählen.

Hamburg. Da gab es den Fall einer alten Dame, die fünf Stunden in ihrem Bett ausharrte, bevor sie die Polizei rief. Es gab das Pärchen, das nachts vom Balkon aus Einbrecher einen Tresor durch den Innenhof schleppen sah und sich wunderte, dass der Wagen, in den der Tresor geladen wurde, ohne Licht davonfuhr. Und es gab das Ehepaar, das erst mal gemütlich frühstückte, nachdem es zwei Einbrecher aus dem eigenen Garten rennen sah. Immer öfter, so berichten Ermittler, wird die Polizei viel zu spät zu Tatorten gerufen.

Mit teilweise erschreckender Gleichgültigkeit lassen sich Opfer und Zeugen Zeit, bevor sie 110 wählen. Wenn die Beamten dann mit der Fahndung beginnen, sind die Täter über alle Berge. Allein in der vergangenen Woche erlebten die Ermittler drei Fälle, in denen Betroffene nach Einbrüchen erst am Morgen nach der Tat anriefen.

"Es ist nun einmal so. Wir sind auf Hinweise und die Mithilfe der Bürger angewiesen", sagt der Erste Kriminalhauptkommissar Frank Barkowsky, in der Zentraldirektion zuständig für die Fallanalyse und Erkennung von Tatserien. Doch tatsächlich werde der Notruf immer öfter viel zu spät gewählt. Vor allem bei Einbrüchen und Einbruchsversuchen sei dieser ärgerliche Trend zu beobachten.

Wie Mitarbeiter der wegen gestiegener Fallzahlen im Januar gegründeten Soko "Haus- und Wohnungseinbruch" berichten, äußern viele Betroffene, sie hätten im ersten Moment gar nicht daran gedacht, die Polizei zu alarmieren. Andere glauben zu wissen, dass "die Polizei eh nichts tut". Das sei aber falsch, so die Soko-Mitarbeiter: "Gerade nach Einbrüchen setzen wir eine umfangreiche Maschinerie in Gang." So werden Spuren gesichert, Nachbarn befragt, nach Fingerabdrücken, Haaren und Speichel gesucht, Beutestücke gelistet und Zusammenhänge mit anderen Taten überprüft. Barkowsky: "Auch nach Einbruchversuchen sollte dringend sofort die Polizei gerufen werden - auch zum Schutz der Nachbarn." Denn: Fast immer, wenn Täter bei ersten Versuchen scheitern, probieren sie es in der Nähe erneut. "Wenn wir dann schon auf der Anfahrt sind, haben wir gute Chancen, die Täter zu fassen", sagt Barkowsky.

Die Soko-Mitarbeiter wollen die Bürger sensibilisieren: "Rufen Sie lieber zu oft an als einmal zu wenig!" Schon wenn jemand Unbekanntes klingelt und fadenscheinige Begründungen für den Besuch vorbringt, könnte das interessant für die Polizei sein. Hintergrund: Fast 50 Prozent der Einbrüche geschehen am Tag - die Urheber sind professionelle Serientäter. Auch Frank Barkowsky betont: "110 ist nicht nur der Notruf bei Lebensgefahr - die Nummer ist einfach auch die zentrale Erreichbarkeit der Polizei. Niemand sollte Scheu haben, die Nummer zu wählen." Gut 90 Prozent der Polizeieinsätze werden durch Anrufe unter der 110 ausgelöst. Insgesamt verzeichnete die Hamburger Polizei im vergangenen Jahr 500 335 Einsätze.

Fälle wie die des Pärchens, das seelenruhig Tresordiebe beobachtete, sind dann doch zum Glück selten darunter, so Barkowsky. Nach einer halben Stunde, so erinnert sich ein Soko-Beamter, hätten die beiden sich dann doch gefragt, ob es sich bei den Männern mit dem Geldschrank vielleicht nicht um Umzugshelfer, sondern um Diebe gehandelt habe. Da waren diese schon lange weg.