Sehr geehrter Herr Strunz ,

ich bin 18 Jahre alt und politisch eigentlich recht leicht zu begeistern. Im Geschichtsunterricht wird die politische Seite der Geschehnisse meist durch große Reden der Staatsmänner und die dazugehörige Stimmung im Volk repräsentiert. Doch die heutige Politik scheint sich mit Worten im Kreise zu drehen und manchmal ihren Zweck nicht in Überzeugungsarbeit, sondern in Beleidigungen zu finden. Dabei vergisst man oft: Politik ist doch etwas, das Menschen bewegt, häufig auch sehr emotionsgeladen, doch nicht bei uns. Während im Nahen Osten Politik über Leben und Tod entscheidet, scheint es fast, Deutschland habe seine ernsten und bewegenden Themen abgegeben - und dabei, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich bin ein starker Befürworter der EU. Vielleicht sind diese Themen aber auch unsichtbar geworden, zwischen all den Steuerfragen und dem Medienhype um die Mexikogrippe. Politik kann etwas so Großes sein: Ich bedauere etwas, nicht früher geboren zu sein und damit Momente wie den Mauerfall nicht miterlebt zu haben. Klar, auch im meiner Zeit gibt es große Ereignisse, doch das Einzige, wovon ich meinen Kindern erzählen würde, ist doch die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten und vor allem von all den Gefühlen der Amerikaner und der Welt, die damit zusammenhängen.

Die Frage ist doch, warum erfasst mich die deutsche Politik nicht so mit Erstaunen und Begeisterung? Es ist fast, als würde die eigene Staatspolitik vom Weltgeschehen völlig in den Schatten gestellt. Und die Medien tragen ihren Teil dazu bei, unsere Interessen auf eben dies zu lenken (...) Ich kann bis heute nicht verstehen, wie sich Politiker über die geringe Wahlbeteiligung auslassen können, denn mal ehrlich, wem helfen die unrealistischen und teilweise widersprüchlichen Wahlplakate (...) wirklich bei der Entscheidung, welche Partei man wählen sollte? Ich hielt Wahlkampf immer für die Zeit, in der alle Parteien ihre Ansichten und Ideen vorstellen und damit überzeugen wollen. Doch mal ganz ehrlich, ich kenne nur die politische Grundeinstellung aus dem Politikunterricht und kaum aktuelle Vorhaben, und bei den meisten Wählern liegt dieser schon eine ganze Zeit zurück. Wieso wird erwartet, dass sich der Wähler selbst informiert, welche Motivation bleibt dann, zur Wahl zu gehen? Wenn wir dagegen den amerikanischen Wahlkampf sehen - natürlich werden Millionen dafür aufgebracht -, dort ist jeder, ob der will oder nicht, über die Vorhaben der Parteien informiert. An der Situation bei uns ist für mich auch die Einstellung der Parteien schuld, die versuchen, weniger durch Inhalte als durch Image zu punkten, einen Vorteil hat's, so bricht wenigstens keiner seine Wahlversprechen. Oder liegt etwa genau da der Haken?

Ann-Kathrin Timmann

Liebe Ann-Kathrin Timmann,

täglich bekomme ich sehr viel Post, von jungen und von älteren Lesern, aber Ihre Betrachtungen haben mich besonders aufhorchen lassen. Denn sie vermitteln mir Einblicke in die Gedankenwelt Ihrer Generation.

Schon Ihre erste Kern-Aussage ist fulminant: Politik sei eigentlich spannende Materie, aber die wirklich bewegenden Themen gingen bisweilen im Sumpf von Sprechblasen der Politiker und im Strudel des Belanglosen unter - da ist durchaus viel dran, bestes Beispiel dafür ist die zähe TV-Begegnung am vergangenen Sonntag zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, bei der jener von Ihnen vermisste Funke der Begeisterung auch wieder fehlte. Aber dies ist bisweilen ein Phänomen weltweit, nicht nur bei uns. Mal steht die Staatspolitik im eigenen Land im Schatten, mal die Weltpolitik, und im Wahlkampf dominieren meist sowieso die Politiker mit ihren Auftritten. Da muss man manchmal schon genau hinhören und analysieren, wo die Informationen stecken. Und man muss aufpassen, dass Emotionen - etwa Sympathie für den einen Politiker und Antipathie gegen manches politische Programm - nicht wichtiger werden als Fakten. Wenn Sie zum Beispiel einerseits den Medienhype in Deutschland kritisieren und andererseits den Wahlkampf von Barack Obama loben, laufen Sie Gefahr, die Stringenz Ihrer Argumentation zu verlieren. Denn natürlich ist gerade der Erfolg Obamas auch ein Produkt des Hypes um seine Person.

Zurück zu Ihren Schlussfolgerungen: Sind also wirklich vor allem die Parteien schuld? Nein, genauso beteiligt an der Misere, die Sie beschreiben, sind natürlich all die Bürger, die sich eben nicht in Parteien engagieren. Nichts selbst in die Hand zu nehmen und dann über andere schimpfen - das ist zwar mehrheitsfähig, aber vor allem wohlfeil. Also haben doch die Medien die Verantwortung für diesen seltsam bedrückenden Zustand, den Sie empfinden? Nein, Medien können immer nur Verstärker sein, Kontrolleure der Macht und Aufdecker, für die es keine Rolle spielen darf, wem das Aufgedeckte nutzt oder schadet, Hauptsache, es kommt an die Öffentlichkeit.

Und ja: Es ist auch eine Bürgerpflicht, sich über die Programme der Parteien selbst zu informieren. Demokratie ist kein Geschenk, sondern eine Errungenschaft. Es lohnt sich sehr, dafür Zeit und Kraft aufzuwenden.

Meine klare Botschaft lautet also: Bloß nicht den Kopf in den Sand stecken, es sich nicht im Sessel bequem machen und lamentieren. Wenn die Politiker Sie nicht begeistern, begeistern Sie sich selbst. Informieren Sie sich, werden Sie aktiv und gehen Sie zur Wahl, das ist übrigens auch Ihre Bürgerpflicht. Reißen Sie andere mit. Es ist doch Ihr Land, in dem Sie leben! Unser Land. Oder überspitzt gesagt: Gehen Sie selbst in die Politik und machen Sie es besser. "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst!", hat John F. Kennedy gesagt, um mit dem Mann zu enden, mit dem Obama häufig verglichen wird. Ein großer Staatsmann, eine große Rede, ein großes Zitat - und ein gutes Motto für jeden Tag.

Herzlichst, Ihr

Claus Strunz