Es ist ein schmaler Grat für Richter: Eltern das Sorgerecht zu entziehen, sie von ihren Kindern zu trennen, die doch ihre Liebsten sein sollten - kaum ein juristisches Schwert schneidet tiefer.

Und doch scheint es in Hamburg notwendiger denn je: Auf 516 Fälle hat sich die Zahl im Jahr 2008 erhöht, jede Woche waren es also zehn Kinder, die nicht mehr von ihren Müttern oder Vätern erzogen werden.

Plötzlich ohne Eltern leben zu müssen ist ein Schock für jedes Kind. Dieser Schritt darf für Juristen nur "Ultima Ratio" sein - wenn alle anderen Mittel nicht mehr zum Ziel führen. Vor einem Dilemma stehen aber auch die Sozialarbeiter: Ohnehin überlastet, laufen sie Gefahr, selbst vor Gericht zu landen, kommt es zu Kindesmisshandlungen - wegen unterlassener Hilfeleistung.

Der Fall Jessica, die vor vier Jahren verhungerte, hat vieles verändert. Damals ging ein Aufschrei durch Hamburg. Warum hatte kein Nachbar reagiert - nicht einmal die Grundschule, in der Jessica niemals erschien? Erst dann ergriff der Senat überfällige Maßnahmen, auch wurde eine Sonder-Telefonnummer eingerichtet. Seitdem gehen mehr Hinweise ein, Nachbarn und Lehrer melden sich.

Allerdings sind Eltern wie die von Jessica, die ihre Katze fütterten, während das Mädchen verhungerte, traurige Ausnahme. Selten ist die Lage eindeutig, Tragödien kennen nur schlechte und noch schlechtere Alternativen. Eltern, die erkrankt sind, sozial kämpfen müssen oder schlicht überfordert sind, brauchen Hilfe. Ihren Nachwuchs wegzunehmen ist meist keine Lösung. Die Sozialbehörde hat das erkannt und setzt auf verstärkte Prävention. Von Betreuung vor der Geburt bis zu Eltern-Kind-Zentren.

Der Weg stimmt, doch die Zahlen zeigen: Zu oft bleibt nur der Entzug des Sorgerechts. Irren ist in diesem Fall unmenschlich.