Hamburgs Kliniken mussten 40 Prozent mehr Minderjährige mit Alkoholvergiftung behandeln.

Hamburger Jugendliche saufen buchstäblich, bis der Arzt kommt. Die Zahl derjenigen, die mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus landen, steigt dramatisch. 2006 waren es noch 105 Minderjährige, die in Hamburger Krankenhäusern wegen einer Alkoholvergiftung vollstationär behandelt werden mussten. 2007 stieg die Zahl der Fälle schon auf 146 (plus 40 Prozent). Durchschnittsalter der Rauschopfer: gerade einmal 15 Jahre. Die Dunkelziffer liege wohl noch deutlich höher, sagt Martin Stolle, Kinder- und Jugendpsychiater am UKE. "In der Statistik sind etliche ambulante Fälle nicht erfasst. Fälle, in denen die Jugendlichen oft aber nicht weniger Alkohol oder Gift im Blut haben als stationär Behandelte." Eine Trendwende ist nach Aussagen von Experten nicht in Sicht. Sie rechnen damit, dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Alkoholmissbrauchs eher noch zunehmen. "Allein in der Klinik Nord haben wir regelmäßig jedes Wochenende einen schweren Fall, mindestens 50 pro Jahr", sagt Mathias Eberenz, Sprecher der Asklepios-Kliniken Hamburg. Die Jugendlichen seien häufig zwischen 13 und 16 Jahre alt und stammten aus allen sozialen Schichten, meist haben sie zwischen 1,5 und drei Promille. Auffällig auch: Allein von 2005 bis 2007 nahm der Anteil der Mädchen, die im Vollrausch in den Hamburger Kliniken landeten, um fast ein Drittel zu. Diesen Negativtrend belegt auch eine von der Gmünder Ersatzkasse (GEK) in Auftrag gegebene bundesweite Studie unter 1168 GEK-Versicherten zwischen 14 und 20 Jahren, die in den vergangenen drei Jahren mindestens einmal wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus lagen. Laut GEK stieg die Behandlungsrate der 15- bis 19-jährigen Mädchen in nur sieben Jahren um mehr als das Doppelte - von 18 auf 37 pro 10 000 Versicherte. Weiteres Ergebnis der GEK-Studie: Aus Schaden werden längst nicht alle Jugendlichen klug. Statt den Alkoholkonsum nach einem Koma und Krankenhausaufenthalt drastisch zu reduzieren, trinken die Minderjährigen trotzdem fast doppelt so häufig Wein, Bier und Schnaps wie andere Gleichaltrige ohne Vergiftungserfahrung. Jeder Fünfte änderte sein Trinkverhalten nach einer Alkoholvergiftung überhaupt nicht. Nicht nur das: In Hamburg - das ergab eine UKE-Untersuchung in drei Hamburger Kliniken - landeten 15 Prozent der jungen Rauschopfer innerhalb von zwölf Monaten ein zweites oder gar ein drittes Mal mit Vergiftungserscheinungen im Krankenhaus. Derart schwere Fälle betreut die Initiative Halt (Hart am Limit). Mit rund 100 jungen Minderjährigen und jungen Erwachsenen führte Halt im Vorjahr intensive Gespräche, um sie vor dem Absturz in die Abhängigkeit zu bewahren.

Allerdings ist nicht jeder Jugendliche im Delirium gleich ein notorischer Komasäufer. René Santer, Oberarzt in der UKE-Kinderklink, hat fast täglich mit den Minderjährigen zu tun und weiß: "Einige trinken regelmäßig etwa um vorzuglühen, andere übernehmen sich beim ersten Suff schlicht und kennen ihre Grenzen nicht."

Können Testkäufe vielleicht den Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen etwas eindämmen? In Niedersachsen sind Testkäufe ein Erfolgsmodell, in Hamburg politisch umstritten. Der SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel fordert: "Wer dreimal beim Verkauf von Alkohol an Minderjährige erwischt wird, sollte seine Konzession verlieren."