Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und die Dienstwagendebatte - ein heikles Thema. Einige können die Politikerin verstehen, andere nicht.

Sehr geehrte Chefredaktion,

die Aufgeregtheit um den Dienstwagengebrauch von Frau Ministerin Ulla Schmidt ist typisch deutsch: hysterisch und von keinerlei Sachkenntnis getrübt. Die mangelnde Sachkenntnis hängt offenbar mit fehlenden Informationen über die für den Gebrauch von Dienstwagen im öffentlichen Dienst geltenden Vorschriften zusammen. In dieser Hinsicht hat sich die Ministerin allem Anschein nach völlig korrekt verhalten! Was den Gebrauch eines gepanzerten Fahrzeugs angeht, so vergessen die Kritiker - deren Motive vermutlich vorwiegend standes- bzw. wahlkampftaktischer Art sind - die Attacken auf Schäuble oder Lafontaine, welche zeigen, wie gefährdet prominente Politiker in unserer Gesellschaft - leider - sind! Demnächst werden diese Bedenkenträger verlangen, dass auch der fortbestehende Personenschutz für die Ex-Kanzler Kohl und Schmidt eingespart wird - um dann bei der nächsten Wahl wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit Leuten vom Schlage eines Schill nachzulaufen ...!

Enttäuscht hat mich als Abonnent des Hamburger Abendblatts, dass Sie sich - vermutlich um das Sommerloch zu füllen - mit entsprechenden Schlagzeilen zum Sprachrohr der Hysteriker gemacht haben. Da hatte ich mir angesichts der aktuellen weltbewegenden Probleme auch vom Einfluss des neuen Chefredakteurs mehr erwartet!

Übrigens die einzig adäquate Reaktion auf diese Nicht-Affäre stammt ausgerechnet vom Vorgänger von Frau Schmidt: Vor laufender Kamera auf diesen Vorgang angesprochen, bog sich Horst Seehofer vor Lachen: "Pech gehabt!"

Mit freundlichen Grüßen

Günter Brachvogel

Sehr geehrter Herr Brachvogel,

in einer Sache stimme ich Ihnen sofort zu - die Empörung über den Dienstwagengebrauch der Ministerin würde in anderen Ländern vermutlich nur ein Achselzucken auslösen, und vor dem Hintergrund der Vorwürfe etwa gegen den italienischen Ministerpräsidenten nehmen sie sich wie eine Lappalie aus.

Und doch - und das zeigt die Fülle der Leserreaktionen - ist sie das nicht. In Deutschland wird darüber erbittert gestritten, zum einen, weil der Wahlkampf an Fahrt aufnimmt, zum anderen aber eben auch, weil es um die politische Hygiene geht.

Inwieweit Ihr Argument der Sicherheit zieht, ist schwer einzuschätzen. Eine besondere Gefährdung sehen die Sicherheitsberater nur bei der Kanzlerin, dem Außen- und Innenminister sowie Verteidigungsminister. War der Ausflug zu deutschen Rentnern in Spanien auch gefährlich? Ulla Schmidt hätte als erfahrene Politikerin wissen können, wie ihre Landsleute auf alle wirklichen und vermeintlichen Vorteilnahmen reagieren. Diese hohen moralischen Erwartungen an die Politik und die Volksvertreter mögen schizophren sein vor dem Hintergrund, dass Steuerhinterziehung oder Versicherungsbetrug hierzulande bei vielen als lässliche Sünde betrachtet wird - aber sie sind nicht zu leugnen. Insofern teile ich Ihre Ansicht nicht, dass sich das Hamburger Abendblatt zum "Sprachrohr der Hysteriker" gemacht hat.

Dabei sehe ich unsere Berichterstattung auch im Vergleich mit anderen renommierten Medien, die groß über das Thema berichtet haben, von der "Süddeutschen Zeitung" über die "FAZ" bis hin zur "Tagesschau", überall wurde kontrovers argumentiert. Eine gute Zeitung lebt von lebendigen Diskussionsbeiträgen wie dem Ihrigen. Ich freue mich auf weitere Debatten.

Herzlichst

Ihr Matthias Iken