Morgen geht die neue Serie los: Wir porträtieren die Nachbarn der ersten Stunde und berichten über ihre Viertel im Wandel der Zeit.

Hamburg. Straßen und ihre Namen sind mehr als blaue Metallschilder an der Ecke. Sie spinnen Netze durch die Stadt. Straßen helfen bei der Orientierung. Aber sie erzählen auch Geschichten - über Hamburg, genauso wie über die Menschen, die dort wohnen.

Reporter des Hamburger Abendblatts besuchen in den kommenden Wochen ausgewählte Straßen dieser Stadt. Wir treffen ihre Anwohner und schlendern mit ihnen durch die Nachbarschaft. Gemeinsam mit ihnen besuchen wir ihre Stammkneipe an der Ecke, das gemütliche Café am Ende der Straße. Wir blicken in die Schaufenster traditionsreicher Krämerläden, sprechen mit dem Döner-Verkäufer von nebenan und diskutieren mit Anwohnern der ersten Stunde über den Wandel im Viertel. In Hamburg gibt es etwa 8500 Straßen - viele davon verschwinden unauffällig im mehr als 4000 Kilometer langen Straßennetz der Hansestadt. Sie tragen stille Namen wie "Koggenweg" und "Rahlaukamp", oder aber sie strotzen edel wie die "Königstraße" und die "Elbchaussee". Straßen erinnern an Menschen und an eine längst vergangene Zeit. Ihre Namen erzählen Geschichte - manche Überlieferungen gehen zurück bis ins 13. Jahrhundert, wie die Deichstraße oder die Straße "Brodschrangen".

Allerdings ist nur rund ein Viertel aller Hamburger Straßen nach Personen benannt - und davon wiederum ist nur ein Viertel Frauen gewidmet. Meist weisen Straßennamen in eine Richtung oder markieren einen Ort wie die Cuxhavener Straße oder der Harburger Ring. Selten erinnern Straßen an historische Ereignisse, wie den Großen Brand von 1842, der damals die gesamte Innenstadt zerstörte. Die Flammen erloschen erst dort, wo heute in der Altstadt die Straße "Brandsende" verläuft.

Wer eine Straße nach einer bekannten Persönlichkeit benennen will, muss mit einem Vorschlag an die Bezirksgremien herantreten. Wenn diese Hürde genommen ist, beschließt eine eigene Senatskommission unter der Leitung der Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) die Benennung. "Von der ersten Idee bis zum Senatsbeschluss dauert es ein gutes halbes Jahr", sagt Jörg-Olaf Thießen, der seit mehr als 20 Jahren für die Benennung von Hamburgs Straßen, Plätzen und Wegen zuständig ist. "In manchen Fällen kann die Suche nach einer geeigneten Verkehrsfläche aber auch vier Jahre dauern, bis wir einen geeigneten Ort für die vorgeschlagene Straßenbenennung in Hamburg gefunden haben."

Frühestens zwei Jahre nach dem Tod werden Straßen oder Plätze nach Persönlichkeiten der Stadt benannt. Einer Straße einen neuen Namen zu geben, ist aufwendig. Post, Feuerwehr, Polizei und Verlage müssen informiert werden.

Bei der letzten Umbenennung war der Geehrte schon etwas länger tot. Anfang des Jahres weihte Senatorin von Welck den Louis-Braille-Platz am U-Bahnhof Hamburger Straße ein. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg als Initiator feierte damit zugleich den Auftakt zu seinem 100. Jubiläum.

Louis Braille wurde vor 200 Jahren geboren. Als Dreijähriger erblindete er durch eine Infektion am Auge. Er wollte sich nicht damit abfinden, auf andere angewiesen zu sein, um Literatur zu erleben, und entwickelte 1825 ein Schriftsystem - seitdem gilt er als Erfinder der Blindenschrift. Jeder, der jetzt an diesem Platz vorbeiläuft, wird an die Geschichte des ehrgeizigen Forschers erinnert.