Mit einer Sonderregelung konnte Carina Böhr ihr Abitur ablegen. Sie lernte drei Jahre länger als normal.

Hamburg. So richtig glauben kann sie es noch nicht. Aber es ist wahr: Sie hat ihr Abitur in der Tasche. "Es ist noch so unwirklich", sagt Carina Böhr, "ich bin schließlich eine Ewigkeit zur Schule gegangen." Drei Jahre länger als andere Abiturienten hat sie das Goethe-Gymnasium in Lurup besucht. Die 22-Jährige ist unheilbar krank. Nach einer Operation 2003 leidet sie unter schrecklichen chronischen Schmerzen und kann nicht länger als zwei Stunden am Stück sitzen - auch nicht in ihrem Rollstuhl. "Damit ich trotzdem meinen Abschluss bekomme, habe ich so eine Art Teilzeit-Abitur gemacht."

Carina Böhr ist eine Pionierin. Bislang war es nämlich so gut wie unmöglich, dass Schüler mit langfristigen Krankheiten in Hamburg Abitur machen konnten. Und auch in Carinas Fall war es alles andere als selbstverständlich. "Wir haben lange gekämpft", sagt ihre Mutter Silvia Böhr (48). Mit viel Unterstützung der Schule entstand ein komplexer Lehr- und Lernplan mit einer Mischung aus stundenweisem Unterrichtsbesuch, Hausunterricht von Lehrern ihres Gymnasiums und einer Hauslehrerin der Schule für Haus- und Krankenhausunterricht ( www.shuku.de ), die für kranke Schüler in Hamburg zuständig ist. "So habe ich einen Abiturschnitt von 2,7 geschafft. Da bin ich schon stolz drauf und auch glücklich", sagt Carina, die zu 80 Prozent schwerbehindert ist und Pflegestufe 2 hat.

Gerade mal 16 Jahre war sie alt, als ihr Leben sich komplett änderte. Am Anfang der Sommerferien war sie ins Krankenhaus gegangen, um sich die Achillessehne verlängern zu lassen. "Eine Routineoperation. Ich wollte beim Tennisspielen besser laufen können", sagt sie sechs Jahre später. Seitdem leidet Carina Böhr ständig unter Schmerzen, die vom Fuß immer weiter nach oben ziehen. Anfangs hätten ihr die Ärzte nicht geglaubt. Inzwischen ist klar, dass sie ein chronisches regionales Schmerzsyndrom hat. "Es ist unheilbar und es besteht die Gefahr, dass es immer mehr Teile des Körpers betrifft."

Zwei Jahre lang war sie ständig im Krankenhaus und in dieser Zeit von der Schule beurlaubt. "Ich habe versucht, selbst weiterzulernen. Aber das war natürlich schwierig, auch weil ich ja immer hohe Morphiumdosen bekomme." Und nicht nur, dass sie nicht mehr wie alle anderen zur Schule gehen konnte. Kino, Disco, Shoppen, Freunde treffen oder in Urlaub fahren - "immer muss meine Mutter mich fahren". Aufgeben kam für die Schülerin trotzdem nie infrage.

Als klar wurde, dass der normale Hausunterricht nicht fürs Abitur reichen würde, entstand die Idee des "Teilzeit-Abiturs". "Wir haben einen Plan gemacht, wie wir die Abituranforderungen auf einen längeren Zeitraum verteilen können", erklärt Schulleiter Egon Tegge, der eine Sonderregelung in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung der Oberstufe nutzte. Daraufhin genehmigte die Schulbehörde weiteren Hausunterricht - und das Projekt konnte beginnen. Carina Böhr belegte zwei Jahre lang ihre schriftlichen Prüfungsfächer, Deutsch und Gemeinschaftskunde als Leistungskurs sowie Physik, und machte auch darin Abitur. Erst danach absolvierte sie die Grundkurse und - mit ihrer Hauslehrerin - den Stoff für das mündliche Fach Philosophie.

"Dann war es natürlich sehr wichtig, dass ich das Abitur auch schaffe", sagt Carina Böhr, die mit ihrem besonderen Weg zur Hochschulreife anderen kranken Schülern Mut machen will. Sie selbst, sagt die junge Frau, die seit vielen Jahren in der Kirche mitarbeitet, hadere nicht mit ihrem Schicksal. "Mir hilft mein Glaube. Es ist mir passiert. Jetzt will ich anderen helfen." Sie hat sich jetzt an der Hochschule des Rauhen Hauses um einen Studienplatz für Soziale Arbeit und Diakonie beworben.