Abendblatt-Chefreporter Jens Meyer-Odewald fragt spontan Menschen, was sie gerade bewegt, lädt sie auf einen Kaffee ein und lässt sie erzählen. Heute: Otto Kadel, Rentner aus Eidelstedt

Mal was ganz anderes, wenn man singend in Kontakt kommt. So wie mit Otto Kadel, der auf einer Holzbank am Tibarg in Niendorf ein russisches Volkslied zum Besten gibt: "Zigeuner spiel uns auf!" Die Passanten applaudieren - und Herr Kadel kann seine Eiswaffel weiter genießen. Schön, wenn das Leben Freude macht.

"Wir haben beschlossen, uns nicht mehr zu ärgern", sagt Herr Kadel. Wir, das ist auch Ehefrau Renate, ihm seit 45 Jahren ver- und angetraut. Seit dieser Entscheidung lebt sich's deutlich unbeschwerter. Weil er nun über Gleichgültigkeit und lapidare Lebenseinstellung hinwegsehe. Das fängt bei achtlos weggeworfenem Müll an und hört bei Ignoranz auf. "Das Erbe der 68er-Generation", meint der frühere PR-Berater in Pentax-Diensten. "Alte Zöpfe wurden abgeschnitten, Bewährtes ging über Bord." Mit einem Liedchen auf den Lippen gibt es keinen Gram.

Genau so kam er 1981 auch mit einer Leidenschaft in Kontakt, die bis heute einen erheblichen Teil seiner Freizeit ausfüllt. Bei einer kleinen Melodie, beim Krämer am Hirschgraben in Wandsbek fröhlich geträllert, merkte ein unbekannter Kunde auf. Seitdem ist Herr Kadel als Tenorsolist im Polizeichor Hamburg aktiv, dem ältesten in Deutschland. Vorgestern war großer Auftritt in der Musikmuschel von Planten un Blomen.

Immer donnerstags wird geübt, mit 78 Mitsängern und Freunden im Präsidium in Alsterdorf. "Macht Riesenspaß", sagt er, setzt seinen Schutzhelm auf und radelt davon. Singend.