Ganztags-Grundschulen sind richtig, aber Tempo des Umbaus droht Stadt zu überfordern

Die gesellschaftliche Realität verdrängt glücklicherweise bisweilen ideologisch aufgeladene Bildungsdebatten. Der in Deutschland über viele Jahre geführte Streit über den Sinn von Ganztagsschulen liefert das aktuelle Beispiel dazu. Während der Unterricht bis in den Nachmittag hinein seit Jahrzehnten europäische Normalität ist, galt es bei uns bis vor Kurzem als erzieherisch und familienpolitisch höchst bedenklich, zumindest kleine Kinder über den Mittag hinaus in der Schule zu lassen.

In Hamburg haben sich nun fast alle der 204 Grundschulen entschlossen, bis 2013 auf Ganztagsbetrieb umzustellen - nach unterschiedlichen Methoden, weil die baulichen Gegebenheiten, aber vor allem auch die familiären Bedürfnisse von Standort zu Standort andere sind. Es ist gut, dass das Nachmittagsangebot der meisten Grundschulen freiwillig ist. So können Eltern entscheiden, ob sie ihren Nachwuchs drei-, vier- oder fünfmal pro Woche länger lernen lassen wollen. Lernen ist im modernen Ganztagsbetrieb in einem umfassenden Sinn zu verstehen, denn es geht nicht darum, den Fachunterricht in den Nachmittag hinein auszudehnen. Aber Spiel, Sport und Kultur können ja auch sehr lehrreich sein.

Familien mit zwei Einkommen und erst recht die große Zahl der Alleinerziehenden sehen im Ganztagsschulangebot zu Recht die Chance, Familie und Beruf endlich in Einklang zu bringen. Das mag nicht für alle Ecken des Landes gelten, mit Sicherheit aber für Metropolen wie Hamburg. Insofern liegt der SPD-Senat richtig, wenn er das von den Vorgängern angeschobene Ausbauprogramm intensiviert und beschleunigt.

Ist also alles im Lot? Leider nicht. Und wenn Schulsenator Ties Rabe (SPD), wie gestern geschehen, beteuert, dass das im Haushalt vorgesehene Geld für Umbau, Umorganisation und Betrieb der Ganztagsschulen ausreiche, ist besondere Vorsicht geboten.

Der Senat hinkt mit dem für den Nachmittagsbetrieb erforderlichen Kantinenausbau erheblich hinterher. Nicht einmal die Hälfte der 44 Grundschulen, die nach den Sommerferien ganztags starten, wird über eigene Küchen und Essensräume verfügen. Und ein Ausbauplan für die mehr als 70 Schulen, die 2013 dazukommen, existiert offensichtlich nicht.

Als ob der Sanierungsstau bei den häufig maroden Schulgebäuden nicht schon reichte, jetzt kommt auch noch die Ganztags-Offensive dazu. Die Schulbau Hamburg, eine städtische Ausgründung, sollte Sanierung und Neubau von Schulen beschleunigen und kostengünstiger machen. Das Gegenteil ist eingetreten, Schulbau Hamburg wirkt bislang eher als Hemmschuh. Rabe trägt für diese Versäumnisse keine unmittelbare Verantwortung, denn die Ausgliederung des Schulbaus ist eine Erfindung des alten schwarz-grünen Senats.

So erfreulich die hohe Akzeptanz für die Ganztagsangebote an Grundschulen bei vielen Eltern ist: Wenn jetzt 50 Prozent mehr Kinder nachmittags betreut werden als noch im alten Hortsystem, dann legt der Senat eben nicht entsprechend viel Geld für den Betrieb obendrauf. Mit anderen Worten: Die Qualität des Angebots droht sich zu verschlechtern, wenngleich es auch kostenmindernde Synergieeffekte gibt, weil die Kinder die nachmittags bislang ungenutzten Schulräume nutzen und teure Anmietungen für Horte dadurch entfallen.

Vielleicht ist es letztlich klüger, das ehrgeizige Ausbauprogramm zeitlich zu strecken. Ganztagsschulen gehen erst dann an den Start, wenn die Ausbaumaßnahmen abgeschlossen sind und die Finanzierung des Betriebs gesichert ist. So lassen sich Frustration und Enttäuschung vor Ort vermeiden, die viele Schulen derzeit bei der Hals über Kopf eingeführten Inklusion erleiden. Der Preis: Politisch kann der SPD-Senat nicht ganz so viel Kapital aus der Sache schlagen.