Die Hamburger Innenstadt benötigt neue Wohnungen - in der Speicherstadt aber nicht

In der Hamburger Innenstadt ist ein Scheitern zu besichtigen - das Scheitern der Städteplaner im Nachkriegsdeutschland. Sie wollten, nach der menschlichen und moralischen Katastrophe der Nazizeit durchaus verständlich, ihr Fach neu erfinden - und ersannen die offene und autogerechte Stadt. Sie sollte klar gegliedert sein und nach Funktionen - Leben, Arbeiten, Einkaufen - trennen.

Diese Reißbrettpolitik hat in Hamburg tiefe Wunden hinterlassen. Den Weltkriegsbomben folgte eine zweite Zerstörung. Wie eine Schneise wurde die Ost-West-Straße in die Innenstadt geschlagen, die heute einer Barriere gleich die City von der Elbe trennt. Büroklötze und Einkaufspassagen prägen das Bild; die Innenstadt wurde systematisch entvölkert. In der Vorstellungswelt vieler Planer und Investoren störten Bewohner nur. Bis zum vergangenen Jahr galt sogar großflächig das alte Recht, das die Innenstadt als Geschäftsgebiet definierte.

Entsprechend öde und leer präsentierte sich lange die Hamburger Innenstadt. Nach Büro- und Geschäftsschluss lag die City wie ausgestorben da. Wer in den 80er-Jahren nach Geschäftsschluss durch die Innenstadt bummelte, wähnte sich in der Tristesse eines niedersächsischen Provinznestes.

Seitdem ist einiges geschehen. Die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten wirkte belebend, einzelne Wohnquartiere kamen hinzu, Plätze und Straßen wurden behutsam aufgewertet, die HafenCity entwickelt. Seit Jahren fehlt in keiner Sonntagsrede mehr der Hinweis, wie sich neues Leben in die Mitte der Stadt bringen lässt: mit mehr Wohnungen und mehr Einwohnern.

Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in dem Gebiet innerhalb des historischen Wallrings 65 000 Menschen, heute sind es noch rund 13 000. Obwohl Hamburg zuletzt Einwohner hinzugewinnen konnte, schrumpfte die Neustadt seit 2002 um zwei Prozent, die Altstadt gar um mehr als sieben Prozent. Das Wachstum im Herzen der Stadt ging in den vergangenen Jahren allein auf das Konto der HafenCity.

Hier soll Hamburg nun weiter wachsen - nach jüngsten Ideen sogar in der Speicherstadt. Allerdings sind diese Vorschläge eher etwas für die Galerie. Rasch umzusetzen wäre das Wohnen nur in einem Block, mit 20 bis 50 Wohneinheiten. Weitere Umwidmungen dürften schon an den Kosten des Hochwasserschutzes scheitern - Millioneninvestitionen für 150 Wohnungen sind politisch kaum durchsetzbar. Zumal vor allem hochpreisige Lofts nur für Besserverdiener realistisch sind. Schon jetzt erzielt die HHLA für Büro- und "Showroomflächen" Höchstmieten in den eindrucksvollen Klinkerbauten. Die darf und wird sich der börsennotierte Konzern nicht nehmen lassen.

Im übertragenen Sinn ist die Speicherstadt ein vermintes Gelände - sie ist seit dem Strukturwandel im Hafen zu einer Flaniermeile der Allgemeinheit geworden. Dementsprechend schwer ist ein Wandel durchsetzbar. Man erinnere nur an 1988: Damals wollte der Senat hier Wohnungen und Büros errichten lassen und die Speicherstadt verkaufen. Ein Sturm der Entrüstung stoppte den Plan. Die Kritik an den geplanten "Yuppie-Silos" dürfte allen Beteiligten noch in den Ohren dröhnen. Und die nächste Gentrifizierungsdebatte kommt bestimmt. Denn nur bei hohen Mieten werden Eigentümer bereit sein, statt Büros Wohnraum zu schaffen oder Gewerbeflächen umzuwandeln.

Die Speicherstadt bietet dafür nur sehr begrenzt Raum. Allenfalls könnten ein paar Lofts als Imageträger für das Viertel werben. Die Wohnungen aber müssen nördlich und südlich entstehen - der ehemalige Lagerhauskomplex könnte als buntes Scharnier mit einem Mix aus Galerien, Museen und Gastronomie Altstadt und HafenCity verbinden. So ließe sich eine alte Wunde in der Innenstadt heilen.

Um alle Fehler der Planer von gestern zu beheben, muss man ohnehin auf das Morgen warten: Erst die HafenCity wird das ersehnte Leben in die Stadt bringen, dann, wenn die geplanten 6000 Wohnungen in gut zehn Jahren bezugsfertig sind.