Jagdszenen an Dammtor, Ballindamm, Uni und im Grindelviertel. Ein Keiler sprang in die Elbe. Eine Bache wurde am Abend in Winterhude gefasst.

Hamburg. Treibjagd in der Innenstadt: Eine mindestens dreiköpfige Wildschweinrotte, vermutlich aus Schleswig-Holstein eingewandert, hat die Polizei gestern Morgen in Atem gehalten. In Begleitung von Jäger Olaf Nieß, besser bekannt in seiner Funktion als Schwanenvater, suchten etwas mehr als ein Dutzend Polizisten mit Maschinenpistolen das Uni- und Grindelviertel ab. Die Hatz endete mit einem Teilerfolg: Ein Schwein konnte am Abend gefangen werden, als es sich nahe der Willistraße in Winterhude in einen Kanal retten wollte.

Die anderen beiden blieben verschwunden: Eines sprang nahe der Elbphilharmonie ins Elbwasser und schwamm wohl davon. Ein weiteres wurde zuletzt nahe der Hoheluftbrücke gesehen. Möglicherweise versteckt es sich dort bis zur Dämmerung.

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+++ Panisches Wildschwein in Garten entdeckt +++

Schwarzwild in Hamburgs Randbezirken ist keine Seltenheit, in der City aber schon fast eine Sensation - und nicht ungefährlich. "In meinen 23 Dienstjahren habe ich es noch nicht erlebt, dass sich Wildschweine so weit in die Innenstadt vorgewagt haben", sagte Nieß, Hamburgs einziger verbeamteter Berufsjäger. Auch wenn die Tiere grundsätzlich nicht gefährlich für Menschen seien - dem Großstadtstress ausgesetzt, verletzt oder in die Enge gedrängt, könne sich das schnell ändern. "Stellen Sie sich vor, so ein 80 Kilogramm schweres Tier steht plötzlich mitten im Innenstadtverkehr oder rennt in eine Gruppe Schulkinder."

Auch Stadtjäger Peter Dose, zuständig für die Bezirke Mitte und Bergedorf, zeigte sich überrascht von dem seltenen Besuch: "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals Wildschweine mitten in der City gehabt hätten", sagt er. Füchse und Marder kämen indes häufiger vor. Dose vermutet, dass die Schwarzrücken aus dem Norden, beispielsweise Volksdorf, stammen und am Alsterlauf entlang in Richtung City vorgedrungen seien. Dose: "Aus dem Hamburger Osten werden sie sicher nicht sein. Dort gibt es kaum welche, und sie hätten erst einmal durch ganz Rahlstedt laufen müssen." Und die Wildschweine aus dem Süden, aus der Fischbeker Heide, hätten die Elbe durch- oder überqueren müssen.

Der Jäger sieht kaum eine Chance, Wildschweine lebend einzufangen, sobald sie erst einmal das Frischlingsstadium verlassen haben. Dose: "Einem Schwein, das mehr als 50 Kilo wiegt, sollte man sich nicht in den Weg stellen." Die Polizisten taten es gestern dennoch: Zweieinhalb Stunden nachdem die Wildschweine das erste Mal gesehen wurden - gegen 4.50 Uhr auf dem Rasen im Alstervorland - konnte eines der Tiere in einem Innenhof an der Rappstraße eingekesselt werden. "Die Kollegen hatten sozusagen schon die Hand am Schwein", sagte Polizeisprecher Holger Vehren. Doch das Tier entwich durch ein Loch im Zaun. Minuten später wurde es an der Hoheluftbrücke im Grindelviertel ausgemacht. "Danach war kein Schwein mehr zu sehen."

+++ Hamburger Polizei auf Wildschweinjagd +++

Die umherirrenden Wildtiere sollen bereits am Vorabend erstmals auf einem Grundstück in Niendorf gesehen worden sein. Eine Anwohnerin rief die Polizei gegen 23 Uhr, doch die Schweine blieben verschwunden. Am frühen Morgen dann liefen sie von der Alster zum Mittelweg, dann vermutlich über die Lombardsbrücke zur Kunsthalle. Gegen 6.15 Uhr trennte sich die tierische Truppe: Ein Wildschwein rannte zum Ballindamm, weiter in Richtung Jungfernstieg. Telefonisch meldete sich ein Jogger aus der HafenCity: Ein Wildschwein sei an ihm vorbeigelaufen und in die Elbe gesprungen. "Was aus dem Tier geworden ist, wissen wir nicht", sagte Vehren, "aber Schweine können ja schwimmen." Die anderen beiden Wildschweine wurden, am Dammtor-Bahnhof vorbei, mit Blaulicht in Richtung Norden verfolgt. Die letzte Schweinesichtung war um 7.40 Uhr. Um 8.30 Uhr wurde die Fahndung beendet.

Dass die Tiere aus dem Norden kamen, vermutet auch Andreas Kinser, Referent für Forst und Jagd der Deutschen Wildtier-Stiftung. "Durch die zusammenhängenden Grünanlagen haben die Tiere beste Versteckmöglichkeiten." Dabei können die Tiere ohne Probleme Märsche von 20 bis 30 Kilometern am Stück zurücklegen. Es sei kein Zufall, dass die Tiere gerade jetzt gesichtet wurden. Kinser: "Im März, April kommen die meisten Frischlinge zur Welt. Dann vertreiben die Muttertiere, die Bachen, ihre Nachkömmlinge aus dem vorherigen Jahr aus der Rotte."

Diese jungen männlichen Schweine seien wagemutig, neue Lebensräume zu erschließen, aber auch unerfahrener, unbedarfter und risikobereiter. Kinser erwartet nicht, dass sich jetzt regelmäßig Wildschweine in der Innenstadt blicken lassen. "Wir werden jedoch auf Dauer mit Wildschweinen an der Stadtgrenze leben müssen, denn die Tiere sind extrem erfolgreich in unserer Kulturlandschaft." Maismonokulturen, wie sie immer häufiger zu finden seien, ließen ihr Herz höherschlagen: "Diese Kulturen bieten beste Futterbedingungen bei bestem Sichtschutz."

Eine Abschussquote für die Allesfresser gebe es nicht. In den letzten Jahren wurden jedoch so viele Wildschweine in Deutschland geschossen wie nie zuvor - allein in der Saison 2010/2011 580 000 Tiere, sagt Kinser. In Hamburg werden pro Jahr 50 bis 100 Wildschweine geschossen - im Duvenstedter Brook und in den Harburger Bergen. Einen Abschuss von Muttertieren, um den Bestand stärker zu dezimieren, hält Kinser für ethisch nicht vertretbar. Die Kooperation von Landwirten und Jägern müsse intensiver werden: "Aber das geschieht bereits." So würde die Bejagung auf Feldern vereinfacht, indem Schneisen aus Sommergerste in Maisfelder eingesät würden. Kinser: "Die Sommergerste wächst niedriger, so kann man bei der nächtlichen Jagd die Schweine dort gut sehen."

Dass eines der Wildschweine in die Elbe gesprungen sei, sei nicht ungewöhnlich, sagt der Experte: "Wildschweine stammen ursprünglich aus Sumpfgebieten, besiedeln bevorzugt Moore und Bruchwälder - und sind exzellente Schwimmer." Das zeigte sich auch an der Willistraße: Gegen 20 Uhr entdeckte ein Anwohner das schnaufende Schwein in seinem Garten. Als sich Jäger Nieß und Polizisten näherten, nahm es Reißaus und sprang in den angrenzenden Kanal. Doch die Verfolger ließen sich nicht entmutigen, paddelten in einem Boot hinterher. Sie fingen die Bache mit einer Leine ein und betäubten sie. Wenn das Schwein wieder bei Kräften ist, soll es im Wildgehege Klövensteen freigelassen werden.