Nach einer missratenen HSV-Saison sind vor allem Sportchef und Trainer gefordert

Nirgendwo ist bekanntermaßen der Grat zwischen berechtigtem Optimismus und realitätsfernen Träumereien so schmal wie im Sport. Zumindest auf den ersten Blick ist Frank Arnesen bei diesem Balanceakt auf der Zielgeraden einer völlig verkorksten Saison mächtig ausgerutscht. Wer wie der Sportchef des HSV wenige Minuten nach einem gerade noch vermiedenen Abstieg schon wieder von internationalen Zielen spricht, scheint ins Lager der unverbesserlichen Fantasten zu gehören. Schließlich geben weder der aktuelle Kader noch die bis dato angedachten Neuverpflichtungen - neben dem Rückkehrer aus Düsseldorf, Maximilian Beister, sollen noch der ehemalige Nationaltorwart René Adler sowie der international eher unbekannte lettische Stürmer Artjoms Rudnevs kommen - Anlass zu übertriebenen Erwartungen.

Es ist dennoch gut, dass Arnesen die Ziele so ehrgeizig formuliert. Denn der Däne legt damit die Messlatte für seine eigene Arbeit enorm hoch, wohlwissend, dass es für Flops keine Alibis mehr geben kann. Vor dieser Saison hatte Arnesen in der Tat einen höchst delikaten Job. Denn als es im Frühjahr 2011 darum ging, den Transfermarkt für den HSV zu sondieren, war er schließlich noch leitender Angestellter des FC Chelsea.

Jetzt aber dreht Arnesen als echter Chef das Personalkarussell des HSV. Die erste Runde verlief schon mal wenig erfreulich. Wenn ein Profi wie Mladen Petric, noch vor einem Jahr international durchaus gefragt, ohne einen Cent Ablöse den Verein verlässt, ist dies immer eine Niederlage. Für den HSV bleibt zu hoffen, dass Arnesen, einer der bestbezahlten Sportchefs der Bundesliga, sein internationales Netzwerk im Sommer-Transferfenster mit mehr Erfolg einsetzen wird. Womöglich fußt sein großer Optimismus ja auf dem einen oder anderen geplanten echten Coup auf dem Spielermarkt.

Und Trainer Thorsten Fink? Zunächst bleibt festzuhalten, dass er seinen zentralen Job erledigt hat: den Klassenerhalt. Fink übernahm den HSV auf dem letzten Tabellenplatz und wird ihn am Ende zumindest auf den 15. Rang führen. Zudem gab es - anders als bei den Abstiegskonkurrenten 1. FC Köln und Hertha BSC - keine Auflösungserscheinungen.

Dennoch muss sich auch Fink hinterfragen. Weder einzelne Spieler noch das gesamte Team haben sich unter seiner Ägide wirklich weiterentwickelt. Das 0:0 gegen Mainz war letztlich ein Spiegelbild der gesamten Saison: kämpferisch okay, spielerisch armselig. Dies reicht für ein "befriedigend" im Zeugnis eines Trainers, der vor allem verpflichtet wurde, um den größten anzunehmenden Unfall der Vereinsgeschichte, den ersten Abstieg, abzuwenden. In der neuen Spielzeit aber ist deutlich mehr gefordert. Fink kann jetzt mit Arnesen einen Kader zusammenstellen, der zu seiner Spielphilosophie passt. Daran wird auch er sich messen lassen müssen.

Die Zeit der Ausreden ist indes auch für die Spieler vorbei. Dies gilt für Leitfiguren wie Heiko Westermann, Marcell Jansen und Dennis Aogo, die einst zum Stammpersonal der Nationalmannschaft gehörten. Dies gilt aber auch für die Garde der jungen Spieler, die sich auf einen wie immer gearteten Welpenschutz nicht mehr berufen können. Ein Spieler wie Gökhan Töre, mit Recht als die Entdeckung des HSV der Hinrunde gefeiert, muss nun beweisen, dass er wirklich erstligatauglich ist.

Allein die Fans halten in der Saisonbilanz jeder Kritik stand. Mit bewundernswerter Geduld haben sie diese Spielzeit ertragen. Eine Bilanz von nur drei Siegen in 17 Heimspielen hätte andernorts zu Proteststürmen geführt - im Volkspark gab es stattdessen nach dem letzten Auftritt gegen Mainz noch frenetischen Applaus. Die Treue der Anhänger ist das höchste Gut des HSV. Der Klub ist gut beraten, es nicht überzustrapazieren.