Der Bauernverband kritisiert die Warnung vor Nord-Gemüse. Die Wirtschaft befürchtet eine anhaltende Zurückhaltung bei den Verbrauchern.

Hamburg. "Gurken, Sie wollen Gurken sehen?" Jörn Reimers blickt über seine Lesebrille und deutet auf etliche gestapelte Kartons mit dem schlanken, grünen Gemüse auf seinem Stand. "Alles von hier aus dem Norden, das wurde nicht genommen - nur die Ware aus dem Ausland", sagt er ärgerlich. Und dass die Großhändler hier einen Umsatzeinbruch von gut 50 Prozent erlitten hätten. "Eine Katastrophe ist das", sagt er dann noch. Es ist gegen fünf Uhr morgens auf dem Großmarkt in Hamburg, die Händler in der großen Halle mit dem markanten Wellendach machen jetzt die letzten Geschäfte, Gabelstapler surren durch die Gänge. Noch ahnt hier niemand, dass wenige Stunden später eine Lieferung aus Spanien verantwortlich gemacht wird für die Ausbreitung des lebensgefährlichen Darmkeims EHEC. Auf vier Gurken hatte das Hamburger Hygiene-Institut den Erreger nachgewiesen. Die Proben stammten vom Großmarkt.

Am Abend zuvor hatte die Situation noch etwas anders ausgesehen: Offizielle Stellen warnten plötzlich ziemlich konkret vor Salat, Tomaten und Gurken aus dem Norden Deutschlands. "Uns hat das sofort getroffen, wir sind total frustriert", sagt Heinz Wulff. Der 52 Jahre alte Vierländer ist Landwirt und Händler zugleich. Am frühen Morgen ist er in der Abteilung der Erzeugergemeinschaft nahezu allein in der großen Halle, viele der Kollegen haben die Stände bereits abgebaut. "Da könnte nun mancher Salatbetrieb aus der Region hopsgehen, wenn die Angst weiter anhält und sie ihre Ernte umpflügen müssen", befürchtet der studierte Agrar-Ingenieur. Dabei sei die Warnung vor Gemüse aus dem Norden ziemlich unlogisch, heißt es beim Bauernverband. Kopfsalat oder Gemüse könne, wie vielfach behauptet, gar nicht mit Gülle gedüngt werden. "Die Pflanzen würden regelrecht verbrennen", sagt auch Landwirt Wulff.

Großhändler Reimers ist daher sauer über Warnungen vor Nord-Gemüse: "Wie kann man so etwas nur ungeprüft in die Welt setzen?", sagt er. Und überhaupt: "Wir und Hunderte Erntehelfer fassen diese Gemüse doch täglich an oder probieren auch einmal, niemand ist da krank geworden."

+++So wurden die gefährlichen Gurken entdeckt+++

Für rund 1,5 Milliarden Euro im Jahr werden hier auf dem 283 000 Quadratmeter großen Großmarkt-Gelände nahe der Elbbrücken Obst, Gemüse und Blumen umgeschlagen - etwa die Hälfte des Gemüses kommt aus dem Ausland, vieles aus der Region. Genaue Zahlen über einzelne Produkte würden aber nicht geführt, heißt es bei der Genossenschaft der etwa 200 Großhändler in der Halle. Gut 2400 Menschen arbeiten auf dem Markt, der ein stadteigener Landesbetrieb ist. In Norddeutschland und bis nach Skandinavien werden von hier kleine Läden, Restaurants oder Wochenmärkte mit zusammen rund 15 Millionen Kunden beliefert.

Die Anspannung am Großmarkt ist daher groß. Die Pförtner haben von der Wirtschaftsbehörde die strikte Anweisung erhalten, keine Journalisten in die Halle zu lassen. Und auch die Händler-Genossenschaft ist alarmiert, scheut die Öffentlichkeit aber nicht. Mit genauen Zertifikaten müssen die Händler schon seit Jahren nachweisen können, woher ihre Ware stammt - sodass im Prinzip der Weg jeder einzelnen Gurke vom Verbraucher bis zum Erzeuger zurückverfolgt werden kann. Trotzdem lasse die Genossenschaft seit Montag Proben aus der Markthalle in einem Labor noch einmal extra auf den unheimlichen Erreger prüfen, sagt Genossenschaftsgeschäftsführer Hans Joachim Conrad. Für Salat könne nun Entwarnung gegeben werden, für andere Produkte habe es bisher keine Bestätigung gegeben.

Dass nun ausgerechnet Gurken aus Spanien als eine oder sogar als der einzige mögliche Infektionsherd gefunden wurden und die Probe vom Großmarkt kommen soll, verwundert die Händler dort. Gurken aus Südeuropa würden eigentlich nur bis Februar in Norddeutschland gehandelt, sagt Großhändler Reimers. Im März käme holländische Ware auf den Markt, die dann günstiger sei, weil die Transportwege viel kürzer sind. Aber auch Gurken aus Norddeutschland kämen aktuell hinzu.

Dafür gebe es jetzt zwar die Entwarnung, sagt Conrad. Doch bis die Verbraucher trotzdem wieder volles Vertrauen hätten, werde es wohl eine Weile dauern. Der Geschäftsführer: "Da müssen wir nun durch - auch wenn der Fall eigentlich eine Bestätigung für die Vorteile regionaler Produkte ist."