Unten Elbstrand, oben grünes Dickicht - und mittendrin treibt Bürgersinn die schönsten Blüten

Als der Teufel einst in den dichten Wald nach Rissen kam und einen prächtigen alten Findling mit in die Hölle nehmen wollte, vielleicht gar, um irgendwelche armen Sünder darunterzuklemmen - da stellte sich ihm ein mutiger Förster entgegen. Es entbrannte ein hitziger Streit um das uralte Gestein. Der wackere Waidmann wich keinen Zentimeter - und wütend spaltete der Gehörnte schließlich den Brocken mit einem gewaltigen Feuerblitz.

Der gespaltene Stein - Klövensteen - wurde zum Namensgeber des mehr als 500 Hektar großen Forstgebiets, das großenteils zu Rissen gehört. Zumindest raunt dies die Volkssage so. Wer Rissen verstehen will, muss vor allem seine Landschaft kennen. Der Stadtteil im äußersten Westen von Hamburg an der Grenze zu Wedel wird bis heute von seinen erst im 19. Jahrhundert, zur Dänenzeit, so dicht aufgeforsteten Waldgebieten geprägt. Vorher waren hier Moor und Heide.

Rissen trägt das Nobeletikett "Elbvorort", da es im Süden an den großen Strom grenzt. Passend zum Teufel und seiner zerstörerischen Wut zerschlugen allerlei Bauherren ab den 60er-Jahren so ziemlich alles, was den Charme des alten Rissen ausmachte. An die Stelle reetgedeckter Bauernkaten, die sich an die Landstraße duckten, traten zumeist gesichtslose Betonbauten. Es muss an der liebenswürdigen Mentalität der Rissener liegen, dass sie weiterhin "ins Dorf" zum Einkaufen gehen und ihren Ort auch so heimelig empfinden.

Auch ein Prinz wurde hier heimisch

Anfang der 80er-Jahre wurde Rissen durch den Bau eines kurzen vierspurigen Stücks Bundesstraße auch noch brutal in zwei Teile auseinandergerissen. Die tiefergelegte Architektur trug der Schnellstraße den anschaulichen Namen "Canyon" ein. Geliebt wird Rissens Riss nicht gerade, aber er hält immerhin den starken Durchgangsverkehr vom Ortskern fern.

"Rissen - das ist der Stadtteil, der notwendigerweise als Abgrenzung zwischen dem feinen Blankenese und dem ländlichen Wedel liegt", sagt Alexander Prinz zu Schleswig-Holstein mit einem Augenzwinkern. Das Mitglied des deutschen Hochadels aus herzoglichem Hause engagiert sich vielfältig und ist auch Vorsitzender des Bürgervereins Rissen. "Wer nach Rissen zieht, sucht zwar nichts Extravagantes, aber eine ganz bestimmte Lebensqualität", sagt er. Insofern sei auch er ein typischer Rissener. Er hat einst "nichts Besseres gefunden" und längst sein "Dorf" lieben gelernt, wo man sich kennt und sich freundlich mit "Moin" begrüßt. "Es ist jene Bodenständigkeit; die Rissen so liebenswert macht", sagt der Prinz.

Bestandteil des Bürgervereins, der sich um viele Dinge kümmert, sind auch die "Blumenfrauen". Diese Gruppe hat die Arbeit übernommen, den Ortskern von Rissen zu säubern und liebevoll mit Blumen zu bepflanzen (dass die honorigen Bürgerfrauen von Unkundigen oft für Hartz-IV-Kräfte gehalten werden, können sie verschmerzen). Auch ist es einer Initiative des Vereins zu verdanken, dass der von Familien gern frequentierte Waldspielplatz im Klövensteen erhalten und renoviert wurde.

Schattige Wege durchs Moor

"Die Entwicklung des Stadtteils zeigt, dass die Bürger es gewohnt sind, um IHR DORF zu streiten und zu kämpfen", sagt auch Herbert Lettermann, der für die Gemeinschaft Rissener Kaufleute mit ihren rund 110 Geschäften spricht. "Ob es um den Erhalt der Schulen, ein lebendiges Kulturangebot oder um die Sicherung des Ortskerns geht - immer finden sich Bürger, die diesen Stadtteil vertreten." Leidenschaftlich gestritten wurde auch um die neun Glaspavillons an der Wedeler Landstraße, in denen allerlei Läden untergebracht sind. Optisch wirkt das 1967 von dem renommierten Architekten Werner Kallmorgen entworfene Ensemble wie das Lager eines Aquarienhandels, aber die Rissener haben sich im Laufe der Jahrzehnte an die nur schwer zu heizenden Glaskästen gewöhnt. Ein Bauunternehmer plant eine mehrstöckige Bebauung für das rund 1000 Quadratmeter große Areal; die Veränderung würde Rissens Ortskern teilweise ein ganz neues Gesicht geben.

Rissen - das sind aber vor allem die liebevoll umgrünten Villen mit oft großen, parkähnlichen Grundstücken, die gepflegten Einfamilienhäuser, das ist der zum Grillen und Chillen einladende Elbstrand in Wittenbergen mit dem unverwechselbaren, 30 Meter hohen rotweißen Leuchtturm von 1899, der sich vor dem höchsten Hamburger Elbufer erhebt. Vom Anleger Wittenbergen aus fahren die Hadag-Fähren Richtung Altes Land und St. Pauli. Rissen - das sind auch die schattigen Wege durch das urige Schnaakenmoor, das vor 10 000 Jahren aus dem Schwemmsand des Elbe-Urstromtals entstand.

Denkfabrik und Golfklub

Am Rande des Ortes, auf dem Weg nach Blankenese, erhebt sich das Haus Rissen mit seinem eindrucksvollen Säulenportikus. Einst Landsitz eines wohlhabenden Kaufmanns, ist es nun frisch renoviert, Hauptgebäude einer renommierten "Denkfabrik", in der über Sicherheitspolitik, Europa oder Globalisierung nachgedacht wird. Noch weiter Richtung Hamburg biegt man zum noblen Golfklub am Falkenstein ab, der zu den landschaftlich schönsten und technisch forderndsten Anlagen in Deutschland zählt. An seinem Rande liegt am Grotiusweg ein architektonisches Juwel - eine Villa aus den 20er-Jahren mit Puppenmuseum und Kunstausstellungen.

Im Waldpark Marienhöhe zwischen Sülldorfer und Rissener Landstraße ist in der ehemaligen Heidorner Kiesgrube ein Freizeit- und Erholungspark für alle Generationen entstanden - mit einem Skatepark, Grillplätzen, Bolz- und Streetballplatz. "Die Anlage hat eine tolle soziale Funktion", schwärmt Prinz Alexander.

Wo Reiter gern absteigen

Und auf der anderen Seite von Rissen, am Sandmoorweg im Klövensteen, beherbergt ein unter alten Bäumen gelegenes Landhaus das Hospiz "Sternenbrücke", das unheilbar kranke Kinder und Jugendliche fürsorglich auf ihrem letzten Weg begleitet. Das Asklepios-Westklinikum wiederum verfügt über eine weithin hochgelobte Palliativstation für todkranke Menschen, denen hier die Schmerzen genommen werden.

Nur einen Hasensprung entfernt liegt das Wildgehege Klövensteen, in dem man Wildschweine, Mufflons, Dam-, Sika- und Rotwild sowie Uhus, Frettchen und viele andere Tiere sehen kann. Der Eintritt ist frei; was man auf diese Weise gespart hat, kann man gleich auf der anderen Seite der Zufahrtsstraße in ein leckeres Gericht der Kleinen Waldschänke investieren, wo auch Reiter gern absteigen. Rissen gehört ja zu jener Region im Westen Hamburgs, die die größte Pferdedichte pro Einwohner in Deutschland aufweisen soll.

In der nächsten Folge am 5.9.: Spadenland

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