Nach Brandstiftung am Schulterblatt: Dämmende Kunststoffe beschleunigten Feuer, kritisieren Experten. Mindestens 23 Menschen waren bei dem Brand am Sonntagmorgen obdachlos geworden, das Haus ist nicht mehr bewohnbar.

Hamburg. Das Feuer in einem Wohnhaus am Schulterblatt 35 wurde durch Brandstiftung ausgelöst. Das ist das Ergebnis der Brandermittlungen. Ob es sich um vorsätzliche oder fahrlässige Brandstiftung handele, sei noch nicht klar, sagte Sprecherin Ulrike Sweden. Die Polizei sucht zwei Männer, die gegen Mitternacht, eine halbe Stunde vor Ausbruch des Feuers, „im rückwärtigen Bereich des Hauses“ gesehen wurden. Sie seien wichtige Zeugen.

Mindestens 23 Menschen waren bei dem Brand am Sonntagmorgen obdachlos geworden, das Haus ist nicht mehr bewohnbar. Sechs Bewohner zwischen 33 und 56 Jahren und ein 14 Monate altes Mädchen kamen mit Rauchgasvergiftungen ins Krankenhaus. Das Feuer hat die Diskussion um die Brandsicherheit sogenannter Wärmedämmverbundsysteme aus Polystyrol ausgelöst. Die Flammen hatten sich im Haus ausgebreitet, nachdem sie von einer Mülltonne im Hinterhof auf die Wärmedämmung übergesprungen waren.

Kritik kam vom Grundeigentümerverband: Der Brand habe gezeigt, dass ein eher harmloser Brand eines Müllcontainers eine solche Fassade in eine unkontrollierte Feuerwand verwandeln könne. „Das ist ein Teufelszeug“, sagt Heinrich Stüven, Vorsitzendes des Verbandes, dessen Mitglieder rund 500.000 der gut 900.000 Wohnungen in Hamburg verwalten. „Bisher haben Politik und Verwaltung die Problematik der Polystyrol völlig verharmlost“, sagt Stüven. Es könne nicht sein, dass erst Tote beklagt werden müssen, bevor man reagiert. Polystyrol sei „hochgradig giftig“ und setze beim Verbrennen das Seveso-Gift Dioxin frei.

Das Material sei zudem wenig umweltfreundlich. „Wenn es einmal von den Fassaden entfernt werden muss, ist das teurer Sondermüll“, sagt Stüven. Ausgerechnet zusätzlich mitverarbeitete Stoffe, die feuerhemmend sein sollen, würden als sehr giftig gelten. Stüven: „Von der Politik verlangen wir, dass sie sich endlich mit den Folgeproblemen der Gebäudedämmung befasst und nicht nur den Klimaschutz im Auge hat.“ Als Alternative verweist Stüven auf teurere Dämmstoffe wie Mineralwolle. Fast 23.800 Mietwohnungen und mehr als 20.100 Eigenheime sind in den vergangenen fünf Jahren mit Fördermitteln der Hansestadt modernisiert worden, sagt Meike Kirchner von der Hamburgischen Investitions- und Förderbank. „In der Regel werden bei den geförderten Maßnahmen auch Wärmedämmmaßnahmen vorgenommen.“ Hinzu kommen andere Förderprogramme, etwa der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

100 bis 120 Euro pro Quadratmeter kostet die Dämmung mit Polystyrol, 130 bis 150 Euro die Dämmung mit Steinwolle, einer absolut feuerfesten Alternative, sagt Diplom-Ingenieur Carsten Kröger, Berater des Energiebauzentrums auf dem Elbcampus, dem Bildungszentrum der Handwerkskammer. Während sich die Eigentümer von Vermietungsobjekten zumeist für Polystyrol-Dämmung entschieden, seien Eigenheimbesitzer oft bereit, mehr Geld zu investieren.

Der Fachverband Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) wollte sich nicht zu dem Brand in Hamburg äußern, solange er nicht abschließend aufgeklärt sei. „Wir sind daran herauszufinden, was genau passiert ist“, sagte Ralf Pasker. „Wir nehmen das sehr ernst.“ Dem Verband gehören 27 Hersteller von Wärmedämmverbundsystemen an, die 85 Prozent des deutschen Absatzes ausmachen. Bislang haben sie 840 Millionen Quadratmeter Wärmedämmung verlegt, pro Jahr kämen 40 Millionen Quadratmeter hinzu. Grundsätzlich sei das Brandverhalten von Dämmsystemen mit Polystyrol in Zulassungsverfahren geprüft und für geeignet beschieden worden, sagte Pasker. „Uns sind nur relativ wenige Schadensereignisse bekannt.“ Im Regelfall seien diese Brände durch besondere Situationen ausgelöst worden.

Am Schulterblatt hatte die brennende Mülltonne in einem zu einer Seite geöffneten Schacht gestanden. Durch den sogenannten Kamineffekt stieg die Brandtemperatur, heiße Luft wurde in die oberen Stockwerke getragen. „Es muss schon ein massiver Brandherd vorhanden sein, bis ein Wärmedämmverbundsystem aus Polystyrol zu brennen beginnt“, sagt auch Kröger vom Energiebauzentrum.

Zudem schließe der Dämmstoff nie offen an der Hauswand ab, sondern werde mit Putz oder mit einer Klinkerfassade versehen. „Die Brandschutzvorschriften geben vor, dass bei Mehrfamilienhäusern ab einer bestimmten Höhe alle zwei Etagen Brandriegel aus feuerfestem Material installiert werden müssen, die ein Überspringen der Flammen verhindern.“ Grundsätzlich habe der Eigentümer darauf zu achten, dass Brandherde nicht an einer gedämmten Wand stehen, damit die Flammen nicht die Dämmung einer starken und andauernden Hitze aussetzen.