Barbara Riekmann, Leiterin der Max-Brauer-Schule, setzte in 25 Jahren wegweisende Pädagogik durch. Bald geht sie in Ruhestand.

Hamburg. An ihrer Schule darf man träumen. Das hört sich schön an. Aber weil es ja um so etwas Ernstes wie Bildung geht, erklärt Barbara Riekmann doch lieber, wie das damals war, mit der Lehrer-Traumgruppe an der Max-Brauer-Schule. "Wir haben uns getroffen, nicht um zu spinnen, sondern um über die Grenzen hinauszudenken", sagt die Schulleiterin. "Das ist manchmal nötig in der Schule, um über den Horizont hinauszukommen."

Herausgekommen ist ein völlig neues Unterrichtsmodell für die Klassen 5 bis 10, in dem sich die traditionellen Lernformen auflösen - "und das funktioniert", sagt Riekmann. Wenn man will, hört man den Stolz in ihrer Stimme. Sagen würde sie das nie.

Seit 25 Jahren leitet die Pädagogin die Max-Brauer-Schule, die MBS, wie Kenner sie nennen. Am Ende dieses Schuljahres geht sie in Ruhestand. Normalerweise gibt es dann eine Feier und Blumen. Zum Abschied von Barbara Riekmann veranstaltet die Max-Brauer-Schule ein pädagogisches Symposium. Aus der ganzen Republik reisen morgen Bildungsexperten an. "Es ist eine Wertschätzung des Kollegiums", sagt die Schulleiterin. Aber natürlich auch für sie. Unter ihrer Ägide wurde die frühere Gesamtschule zu einem Erfolgsmodell mit bundesweitem Renommee.

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"Ich bin gern Schulleiterin geworden, weil ich Schule verändern will", sagt die 63-Jährige. Das kann man getrost wörtlich nehmen. Seit sie den Posten 1987 übernahm, gab es keine Zeit, in der an der Max-Brauer-Schule kein Schulversuch lief. Offener Unterricht, Teambildung im Kollegium, Rhythmisierung des Schultags, schon zu Beginn ihrer Tätigkeit setzte sie gemeinsam mit Kollegium und Eltern auf neue pädagogische Ideen - auch gegen die Prinzipien der Gesamtschulbewegung. Heute ist die Max-Brauer-Schule mit 1350 Schülern von der Vorschule bis zum Abitur eine Reformschule neuen Typs, in der, wie die Schulleiterin sagt, "sich die politische Überzeugung der Gesamtschulbewegung mit reformpädagogischen Ansätzen vereint".

Das ist Barbara Riekmann wichtig. Sie ist eine Verfechterin des gemeinsamen Lernens. Auch weil es mit ihrer eigenen Biografie zu tun hat. Aufgewachsen als Arbeiterkind an der Sternschanze, sei sie erst in der 6. Klasse auf ein Aufbaugymnasium gewechselt. "Meine Grundschullehrerin hat mich entdeckt." Eine prägende Erfahrung und der Grund, selbst Lehrerin zu werden. "Ich wollte das weitergeben." Begonnen hat sie 1973 an der Max-Brauer-Schule als Hauptschullehrerin mit den Fächern Physik und Chemie. 1973 wurde die Schule Gesamtschule. Drei Jahre später stieg sie zur Abteilungsleiterin auf, mit 38 Jahren übernahm sie die Schulleitung.

Eine Chefin die, wie langjährige Kollegen versichern, "hinhört, was wir sagen, Mut hat, neue Wege zu gehen und durchzustehen, und der Schule den Rücken in der Behörde freihält". Mit Auswirkungen auf die Bildungslandschaft. Die Profiloberstufe ist an der Max-Brauer-Schule erfunden und erprobt worden, heute ist sie eingeführte Regel auch an Gymnasien. Auch die sogenannte Neue MBS, die aus der damaligen Traumgruppe entstanden war, ist zum bildungspolitischen Vorbild avanciert. Nach einem Drei-Säulen-Modell lernen die Schüler im Ganztagsunterricht selbstständig in Lernbüros, erarbeiten fächerübergreifend Projekte und probieren sich in Werkstätten kreativ aus. Inzwischen sind die ersten Schüler des neuen Modells in der elften Klasse und sehr erfolgreich. "Als sie anfingen, hatten 35 Prozent eine Gymnasialprognose, jetzt sind knapp 70 Prozent auf dem Weg zum Abitur."

Nicht nur da gibt ihr der Erfolg recht. Der MBS geht der Ruf als "pädagogische Erfinderwerkstatt" voraus. 2006 wurde sie mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet, als bislang einzige Schule in Hamburg. Für die sechs fünften Klassen gibt es regelmäßig deutlich mehr Bewerber als Plätze. Die Schüler kommen aus der ganzen Stadt, auch die Bildungsbürger aus dem Hamburger Westen schicken ihre Kinder auf die Stadtteilschule in Bahrenfeld. Und auch für Schulen in anderen Bundesländern ist das Modell der Max-Brauer-Schule interessant. "Wir haben bis zu 600 Unterrichtsbesuche im Jahr", sagt Barbara Riekmann.

Wenn sie in den Ruhestand geht, endet eine Ära. Das Symposium am Dienstag dokumentiert das. Der Titel "Jedem Kind gerecht werden" ist ihre pädagogische Leitlinie. Vormittags hospitieren Bildungsexperten im Unterricht, abends gibt es Diskussionen. Die Laudatio hält der renommierte Pädagogik-Professor Peter Fauser von der Universität Jena. Die offizielle Verabschiedung ist im Juni. Nachfolgerin wird Andrea Runde, die lange Personalreferentin in der Schulbehörde war.

Barbara Riekmann hat noch keine konkreten Pläne. Gerade ist sie umgezogen, von Othmarschen nach St. Pauli. "Ich will ausprobieren, wie es sich anfühlt, wenn man Zeit hat", sagt sie. Die Enkelkinder in Berlin besuchen, Golf spielen und sich wieder ans Klavier setzen. "In meiner Wohnanlage soll es einen Shanty-Chor geben." Und sind die Schüler traurig, dass sie geht? Riekmann lächelt fein. "Die wissen, dass ich das Konzept verantworte, und sie lieben dieses Konzept."