Die Geschichte der Liebe“ beginnt in Schwarz-Weiß, mit einer langen Kamerafahrt. Sie zeigt Zerstörung, einen umgestürzten Marktstand, ein zerbrochenes Wagenrad. Die Kamera steigt in die Höhe, fliegt über Bauernhäuser und Wälder. Dazu erzählt ein Mann mit fast flüsternder Stimme: „Es war einmal ein Junge, in einem Dorf, das es nicht mehr gibt.“

Dieser Junge hat ein Mädchen geliebt, dessen Lachen für ihn wie eine Frage gewesen ist. Und er ist bereit gewesen, mit der Suche nach einer Antwort sein ganzes Leben zu verbringen. Diese „Geschichte der Liebe“ erscheint zunächst wie ein Märchen. Es handelt von Erinnerungen an verschwundene Dinge, an Versprechungen, die unerfüllbar sind.

Doch schon endet die Kamerafahrt in Farbe, in der Gegenwart, in einer kleinen Wohnung in New York. Zwei Männer Ende 70, Léo Gursky (Derek Jacobi) und Bruno Leibovitch (Elliott Gould), streiten sich dramatisch. Léo brüllt: „Hast du mit ihr geschlafen?“ Bruno weicht aus, will erst mal einen Kaffee. Als sie mitbekommen, dass eine Servicekraft des Cafés unten Deutsch spricht, markiert Léo den überforderten Greis. Er zittert und zuckt und verschüttet absichtlich Kaffee. Die junge Angestellte eilt zu ihm, hilft. Zufrieden setzt sich Léo zu Bruno an den Tisch. Der fragt: „Die Kleine ist doch ganz nett. Was haben die Deutschen dir getan?“

Die Antwort gibt eine Rückblende auf Léo als jungen Mann (Mark Rendall). Er rennt durch einen Wald, gehetzt von Nazi-Schergen und ihren Hunden. Es folgt, wovor Léos große Liebe Alma (Gemma Arterton) bald darauf in die USA flieht und was heutzutage in Inhaltsbeschreibungen immer wieder verharmlosend als „Wirren des Zweiten Weltkriegs“ beschrieben wird: reiner Terror, ein Massaker an der jüdischen Bevölkerung.

Der Roman „Die Geschichte der Liebe“ stammt von der New Yorker Autorin Nicole Krauss, deren jüdischen Großeltern es einst gelungen war, vor den Nazis in die USA zu fliehen. Verfilmt hat ihn der rumänisch-französische Regisseur Radu Mihaileanu, dessen Vater, Mordechai Buchmann, seinen Namen ändern musste, um die Schoah zu überleben. Die Melange aus Grauen, Ironie, Romantik und Slapstick ist typisch für Mihaileanus Filme. Doch anders als in „Zug des Lebens“ oder „Das Konzert“ beschleicht einen hier zuweilen der Verdacht, das intendierte Wechselbad der Gefühl müsse kaschieren, dass die eigentliche Geschichte nicht ganz funktioniert.

Die Dorfschönheit Alma will sich nämlich erst nicht zwischen drei Männern entscheiden. Sie sonnt sich im Glauben, „die am meisten geliebte Frau der Welt“ zu sein, verspricht, jeden der drei zu heiraten. Léo, ihren ersten Mann, fordert sie auf, ein Buch über sie zu schreiben. Auf dem Weg ins Exil bittet sie den ambitionierten jungen Schriftsteller, jedem künftigen Brief ein weiteres Kapitel beizulegen – als Zeichen, dass er noch lebt, und auch aus Eitelkeit.

Dieses Buch soll „Die Geschichte der Liebe“ heißen, und alle Handlungsstränge ranken um die Fragen: Ist dieses Buch nur ein Phantom? Wenn nicht, wer hat es verschwinden lassen? Diese doppelbödige, aber eben auch sehr literarische Konstruktion überzeugt in der filmischen Übersetzung nicht recht. Sie geht unter im turbulenten Reigen hochfliegender Emotionen und satirischer Charaktere.

Immerhin gelingt Mihaileanu ein vielschichtiges, zum Teil höchst unterhaltsames Porträt dreier Generationen. Neben Léo zählen dazu eine alleinerziehende Mutter und ihre Kinder. Sie alle sind mit dem Rätsel der „Geschichte der Liebe“ verbunden. Und ihre Versuche, es zu lösen, werden zur Metapher, der zufolge nicht nur traumatische Erfahrungen nach den Opfern noch die Kinder und Kindeskinder prägen. Auch Hoffnung ist vererbbar. Für „Die Geschichte der Liebe“ ist das wahrlich kein schlechtes Fazit.

„Die Geschichte der Liebe“ F/CAN 2016, 135 Min., ab 6 J., R: Radu Mihaileanu, D: Gemma Arterton, Derek Jacobi und Sophie Nélisse, täglich im Passage; www.geschichte-der-liebe.de