Familien wie die der Payans bezeichnet man fix als dysfunktional. Vier Generationen leben unter einem Dach, und nur Mutter Nicole (Karin Viard) geht als Mautstellen-Kassiererin einer geregelten Arbeit nach. Großmutter „Mamilette“ (Hélène Vincent) zeigt Anzeichen von Demenz, Vater Jean-Pierre ist arbeitslos, und die erwachsene Tochter Arielle (Manon Kneusé) geht lieber abends aus, als sich um ihr kleines Kind zu kümmern.

Trotzdem ist „dysfunktional“ eine völlig falsche Beschreibung, denn wer genauer hinsieht, wird erkennen, dass die Payans in Wahrheit sehr gut funktionieren, bewundernswert gut sogar angesichts der Umstände. Auch wenn die erste Szene gleich zeigt, wie sie es nicht schaffen, pünktlich zur feierlichen Verabschiedung ihres ältesten Sohns zu erscheinen, der als Koch auf einem U-Boot angeheuert hat. Da stehen sie am Pier, können dem abgetauchten Boot noch nicht mal mehr nachwinken und schreien sich gegenseitig an. Bei Nicole geht der Frust so weit, dass sie sich an Ort und Stelle übergibt. Doch am Abend liegt die 49-Jährige wieder versöhnt neben ihrem Mann im Bett und listet entschuldigend ihre Menopausen-Symptome auf.

„Es fühlt sich an wie Schwangersein, nur dass ich damals dauernd kotzen musste“, rutscht es ihr raus. Dann schwant ihr, was sich drei Teststreifen später bestätigen wird: Sie ist tatsächlich wieder schwanger. Mit 49! Die Nachricht bringt das gut eingespielte Gefüge der Payans durcheinander. Nicole war bislang nicht nur der Haupternährer, sondern auch Anker und Rückgrat der Familie. Sie hat die Enkelin abgeholt, die Einkäufe organisiert, aufgeräumt. Perfektion anzustreben konnte sie sich da nie leisten, weshalb sie sympathisch pragmatisch daherkommt. Nun zeigt sich, dass ihre Leistungen vom Rest der Familie mit Undankbarkeit quittiert werden.

„In den nächsten neun Monaten bleibt dann wohl alles an uns hängen!“, lautet die Reaktion der Tochter auf die Botschaft eines neuen Geschwisterchens. „Immer muss alles nach deiner Pfeife tanzen“, beklagt sich der Ehemann. Dabei hat der Arzt der Spätgebärenden „keinen Ärger“ verordnet. „Wie soll das gehen, wo mich doch schon die Schwangerschaft als solche ärgert?“, wettert Nicole. Und schon beginnt der Blutdruckmesser, den ihr der Arzt verschrieben hat, zu piepen.

„Das unerwartete Glück der Familie Payan“ ist voll von solchen kleinen, genau beobachteten Situationen und Dialogen. Der übliche Slapstick um Missverständnisse und andere Alltagskatastrophen, den Regisseurin Nadège Loiseau in ihrem Spielfilmdebüt mitinszeniert, gerät darüber zur ­Nebensache. Tatsächlich hat der Film zwar das Timing einer Screwball-Komödie, in der sich die Ereignisse stets überstürzen, aber in Wahrheit nimmt er die angesprochenen Themen auf angenehme Weise ernst.

Nicht nur, dass Nicole völlig unsentimental die Möglichkeit einer Abtreibung ­erwägt, auch die anderen Prob­leme ihres „Unterschichten­lebens“ werden ausgeleuchtet. Und das ohne jede Larmo­yanz.

„Das unerwartete Glück der Familie Payan“ F 2015, 99 Min., ab 6 J., R: Nadège Loiseau,
D: Karin Viard, Philippe Rebbot, Hélène Vincent, im Koralle-Kino; wildbunch-germany.de/movie/familie-payan