Ach, die Kunstwelt, diese abgehobene Parallelgesellschaft, auch sie meint es selten gut mit den Frauen. „Artemisia Gentileschi, von der Nachwelt gering geschätzt, ihr bestes Werk ihrem Vater zugeschrieben. Judith Leyster, zu ihrer Zeit bewundert, dann ausgelöscht. Ihr Werk Frans Hals zuerkannt. Camille Claudels Ansehen ganz von Rodins verschluckt. Dora Maars großer Fehler: Sie schlief mit Picasso, eine Tatsache, die ihre brillanten surrealistischen Fotos auslöscht.“

Man kann es paranoid finden – immer sucht dieser vermaledeite Feminismus das Haar in der Suppe! – oder schlicht konsequent: Harriet Burden (und also, das darf man wohl unterstellen, auch deren Schöpferin Siri Hustvedt) weiß genau, wo welche Künstlerin zurückstecken musste. Die immer unsichtbare Frau. Burdens Plan: diesen Mechanismus offenzulegen. Die ganze Mischpoke bloßzustellen. Endlich den Respekt zu erobern, der ihr – meint sie – seit so langer Zeit zusteht.

Mit ihrem aktuellen Roman „Die gleißende Welt“ und der eigenwilligen Protagonistin Harriet Burden hat Siri Hustvedt eine Figur erschaffen, die der Leser so bald nicht vergessen wird. Schon weil der kluge, verspielte und ungewöhnliche Romanaufbau, eine Art vielstimmige Collage aus Tagebucheinträgen, Interviews, absurden Kunstrezensionen und Protokollen, sich derart geschickt gestaltet, dass man sich kaum wunderte, tauchte Harriet Burden irgendwann tatsächlich in einem realen Kunstlexikon auf. Vielleicht unter „B“ wie Burden, was natürlich nicht zufällig, sondern lustvoll aufdringlich „Last“ bedeutet. Oder unter „H“ wie Harriet, seit ihrer Kindheit Harry genannt, was das Spiel mit den Geschlechterrollen verdeutlicht. Oder unter „L“ wie Lord, der ebenfalls sehr sprechende Nachname ihres flamboyanten Ehemanns, eines reichen Kunsthändlerdandys, dessen Prominenz die Wahrnehmung der kunstschaffenden Gattin deutlich überlagert.

Ob auch die so erfolgreiche wie brillante Bestsellerautorin Siri Hustvedt je unter fehlender (männlicher) Anerkennung litt? Zumindest wird sie es registriert haben, dass in keinem Artikel über sie oder ihre Bücher (dar­unter „Die Verzauberung der Lily Dahl“, „Was ich liebte“) versäumt wird, ihren Schriftsteller-Ehemann Paul Auster zu erwähnen. (Und hiermit wäre das also auch in diesem Fall abgehakt.) Die mindestens schrullig zu nennende Harriet Burden, eine besessene Intellektuelle und körperlich einschüchternde Walküre mit Brüsten, „die einen gewaltigen Büstenhalter brauchten, damit sie oben blieben“, will diesen Zustand jedenfalls nicht länger akzeptieren. Sie wagt ein Identitätsexperiment. Drei junge hippe Männer sollen Burdens Kunstwerke (ausgerechnet: voodooartige Puppen) unter eigenem Namen ausstellen und dabei möglichst erfolgreich sein. Eine mehrgestaltige Maskerade, die Burden in einem großen Entblößungsfinale aufzulösen beabsichtigt. Nur, dass ihr Plan nicht aufgeht und die prominenteste ihrer vermeintlichen Marionetten das Rollenspiel ins Gegenteil verkehrt.

Während der Leser die tragikomische, schillernde Harriet nicht allein durch deren eigene Notizen kennenlernt, sondern sie durch den Blick und das Urteil anderer gewissermaßen einkreist, ihrer Kinder, des Geliebten, der Kunstkritiker (deren Schilderung Hustvedt besonders hübsch entlarvend geglückt ist), watscht die Autorin nebenbei den Kunstmarkt ab. „Wie beurteilen Leute eigentlich Kunst? Was war Geschmack?“ Es ist – auch – das Märchen vom Kaiser ohne Kleider.

„Die gleißende Welt“ leiht sich indes den Romantitel von Margaret Cavendish, die bereits im 17. Jahrhundert selbstbewusst über Geschlechterfragen und Macht publizierte, eine „bartlose Überraschung, eine Rollenverwirrung“. Hustvedts Buch behauptet seinerseits, die Arbeit eines gewissen Professor (oder Professorin?) Hess zu sein, die sich wissenschaftlich mit Burden beschäftigt. Überall lauern Anspielungen und Zitate, mal subtiler, mal mit lautstarkem Rumms. Siri Hustvedt baut Winkel und legt Schichten an, das fördert (wie auch die Fußnoten) nicht immer den Lesefluss. Und die Annahme, dass wir die Kunst (wie das Leben) nie vorurteilsfrei betrachten, ist nicht so arg neu. Aber sie ist selten so gewitzt, so selbstironisch und mit so viel Lust am Maskenspiel aufgeblättert worden.

Siri Hustvedt liest mit Bettina Stucky Mi 3.6., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39; Anreise hier), Karten zu 18, ermäßigt 12 Euro unter T. 24 87 13