In psychiatrischen Einrichtungen verabreichte Medikamente sollen den Betroffenen helfen. Sie sollen die Situation im Zusammenspiel mit anderen Therapieformen möglichst so bessern, dass sie wieder verzichtbar werden. So die Theorie. Wie die Verabreichung von Psychopharmaka von den Patienten oft selbst empfunden wird, zeigt der Dokumentarfilm „Nicht alles schlucken“.

Die Filmemacher Jana Kalms und Piet Stolz widmen sich damit einem Thema, das im gesellschaftlichen Umfeld häufig noch ein Tabu ist: psychischen Erkrankungen. 20 Menschen – Patienten, Pfleger, Angehörige und Ärzte – wurden für den Film in einen Raum gebeten. Schon dessen Ausstattung mit braunen Stühlen auf grauem Boden vor beige-braunen Wänden sorgt beim Zuschauer für gedrückte Stimmung. Im Kreis sitzend erzählen die Gäste von ihren Erfahrungen, meist ruhig und beherrscht. Selten fließen die Tränen, die hinter den Worten oft deutlich zu spüren sind.

Die Kamera rückt den Sitzenden immer wieder ganz nah. Feine Linien und eingegrabene Falten, gebogene Mundwinkel und traurige Augen zeigen deutlich, dass im Leben so manchen Gastes schlimme Erlebnisse oder Gefühle tiefe Spuren hinterließen. Eine Mutter ist dabei, die ihren von psychischen Problemen betroffenen Sohn seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hat. Eine junge Frau, die nach bisher vier Psychose-Schüben für ihr kleines Kind ohne Medikamente zu leben versucht. Eine Ärztin, die den Alltag einer psychiatrischen Klinik in Süddeutschland nicht mehr aushielt.

Mehrere Patienten beschreiben, dass sie die Medikation mit Psychopharmaka in Kliniken als „Bombardement“ empfunden hätten. Apathie, 16 Stunden Schlaf und extremer Speichelfluss seien Folgen. Es heiße: „Das hilft dir, wieder in der Realität anzukommen“, erzählt die junge Frau, die als 17-Jährige ihre erste Psychose erlebte. Die Medikamente beeinflussten aber die Wahrnehmung, so dass es schwierig werde, überhaupt noch zu wissen, was die reale Welt ist.

Sie habe den Eindruck, dass immer mehr Medikamente eingesetzt werden, vor allem, weil immer öfter mehrere Mittel kombiniert würden, sagt eine Expertin. „Pharmakologischer Wahnsinn“ sei das und könne den Betroffenen nicht nützen – allein schon, weil Psychopharmaka nur Symptome unterdrücken, aber nicht heilen.

Es gibt im Film keine Musik, keine Kommentare aus dem Off, nicht einmal eingeblendete Texte zu Namen oder Funktion des jeweils Sprechenden. Es gibt nur diesen schmucklosen dunklen Raum und die Menschen darin, die tief in ihre Seele blicken lassen.

Nur erahnen lässt sich für den Zuschauer, wie viel Mut dieser Schritt gekostet haben muss, sich vor der Kamera so zu offenbaren.

Heute Abend um 20 Uhr feiert der Film im Abaton seine Hamburg-Premiere in Anwesenheit einer Protagonistin, Jana Kalms und Sebastian Winkels sowie Thomas Bock und Gwen Schulz vom trialogischen Verein „Irre menschlich“ aus Hamburg.

Premiere: „Nicht alles schlucken“ D 2015, 87 Minuten, ab 6 Jahren, Regie: Jana Kalms, Piet Stolz, Sebastian Winkels, Premiere: Mo 1.6., 20 Uhr, Abaton, Allende-Platz 3 (Anreise hier), Karten 8, ermäßigt 7,50 Euro unter T. 41 32 03 20