Wenn die Menschheit sich ihre eigene Sonderbarkeit vor Augen führen will, benutzt sie gern das Bild des Außerirdischen: Was denkt ein Marsmensch über uns, wenn er unsere Marotten sieht? Regisseur Ingo Haeb stellt mit „Das Zimmermädchen Lynn“ nach dem Roman von Markus Orths eine ähnliche Frage, nur viel unspektakulärer: Fast unsichtbar stiehlt sich da eine junge, verschlossene Hotelangestellte (Vicky Krieps) unter die Betten von Fremden und versucht, aus ihnen schlau zu werden. Oder wenigstens froher.

Aus der Teppichperspektive sieht sie müde Füße und belauscht Gaga-Telefonate. Meist döst sie selig, während über ihr nichts stattfindet als die Existenz eines anderen. Zu Hause wird sie auch mal unters eigene Bett schauen, ob da nicht auch endlich mal jemand liegt – komödiantische Pointen über die Sehnsucht nach Nähe.

Natürlich hat Lynn einen Hau, doch weil dieser so intelligente wie liebevolle Film keine Krankengeschichte, sondern ein romantisches Märchen vom Glück erzählt, findet Lynn im Callgirl Chiara (Lena Lauzemis) ihre Seelenverwandte. „Du bist verrückt!“ ist für die Dienstleistungs-Priesterinnen ein Kompliment. Während Lynn feststellt, dass „das Schönste am Putzen ist, dass es immer wieder dreckig wird“, kann sich Chiara darauf verlassen, dass ihre Kunden immer wieder Schmutziges verlangen. Beide lieben die Menschen auf distanzierte, neugierige, ungeschwätzige Art.

Das charakterisiert die Haltung des Films. Kamerafrau Sophie Maintignieux gesteht Vicky Krieps eine mythische Präsenz zu, ohne ins Heiligenbild abzudriften. Lynns Putzeifer fotografiert sie zwar, als seien das rituelle Handlungen, deren Sinn sich Außenstehenden nicht erschließen muss. Doch Lynn darf zugleich ein einfaches Mädchen bleiben. Das Traumartige, Artifizielle ihres Erlebens betont Haeb mit striktem Rot-Blau-Kontrast der Lebenssphären Hotel und Wohnung und durch Nachsynchronisation des kompletten Films. In den Szenen mit der empathielosen Mutter (Christine Schorn) sorgt das für faszinierend stimmige Entfremdung. Ein Menschenwerk, das die Außerirdischen unter uns mögen dürften.

„Das Zimmermädchen Lynn“ D 2015, 90 Min., ab 12 J., R: Ingo Haeb, D: Vicky Krieps, Lena
Lauzemis, Stefen Münster, täglich im Abaton