„Die Maisinsel“ ist einer dieser seltenen Filmräume, die so still und bildgewaltig sind, dass beim Zuschauen immerzu Worte von selbst angespült kommen, von irgendwoher. Worte wie herkommen und ankommen, wie Auf-der-Erde-Sein und untergehen, wie anfangen und wachsen, lieben und töten und wiederfinden.

Eine Insel in einem Fluss, frisch aufgetürmt aus fruchtbarer, angeschwemmter Erde, im Grenzgebiet zwischen Georgien, Russland und dem abtrünnigen Abchasien: Hier, auf dieser Welt im Kleinen, wird die ganze Filmerzählung bleiben. Von irgendwoher kommt ein alter Mann (Ilyas Salman) in einem Kahn angefahren. Er prüft die Erde, schmeckt sie, markiert sie mit einem weißen Tuch, das er an einen dürren Ast bindet, und legt auf glucksenden Wellen wieder ab. Wohin, verrät der georgische Regisseur George Ovashvili nicht, aber der Alte kommt immer wieder zur Insel zurück, mal mit Werkzeug und mit Holzlatten, irgendwann schließlich auch mit einem jungen Mädchen (Mariam Buturishvili), von dem zunächst nicht ohne Weiteres klar ist, dass es die Enkeltochter ist. Blickt sie feindselig? Was hat der Alte vor, außer eben Mais anzubauen, wie zu Beginn des Films schriftlich erklärt wurde?

Für seine leisen Unerklärtheiten, die sich bis in den teils ganz schön irren Schnitt hinein fortsetzen, nimmt sich Ovashvili allen Raum und alle Zeit. Mit fast unmerklichen Zooms und Schwenks und einem subtilen Score gelingt es ihm aber, dabei ständig eine traumartig drängende Spannung aufrechtzuerhalten. Alle Gesten und alle Naturgeräusche sind präzise und unumgänglich, die Sounds menschlichen Schaffens und Kämpfens wirken so notwendig wie gefährlich: Es werden Schüsse fallen, ein Soldat wird verwundet zwischen dem Mais aufgefunden. Die Dialoge und auch das sanft beobachtete „Heranreifen“ des Mädchens sind eingebettet in eine Atmosphäre der jederzeit möglichen Katastrophe.

Vier Jahre lang arbeitete der Regisseur an seinem Film, den er ohne Furcht vor dem Vorwurf symbolseliger Großspurigkeit als „eine Art Modell für das Leben“ bezeichnet. „Die Maisinsel“ will daher nichts wissen von politischen Verwicklungen und ist wohl vor allem ein Sinnbild für das ständige Weitermachenwollen der Menschheit: Auf die alten Schutthalden der Vorfahren stellt sie einfach immer wieder neue Hütten und Paläste und verdrängt derweil den eigenen Untergang.

In Karlovy Vary gewann der Film den Hauptpreis. In dem Willen, nichts weniger als den Kreislauf des Lebens auf die Leinwand zu bringen, ist „Die Maisinsel“ verwandt mit Michelangelo Frammartinos Ziegenhirten- und Köhler-Meditation „Vier Leben“ (2011). Doch während in Frammartinos bescheidenem, eher dokumentarischem Ansatz die weltverwandelnde Kraft menschlichen Tuns sich wie von selbst zu etwas Magischem verdichtet, stehen die Bilder der „Maisinsel“ glanzvoller, vielleicht auch ein bisschen dicker aufgetragen in den Fluten dieser ansonsten so schön einfachen Kinoerzählung.

„Die Maisinsel“ Georgien u.v.a. 2015, 100 Min., o. A., R: George Ovashvili D: Ilyas Salman, Mariam Buturishvili, Irakli Samushia, täglich im Blankeneser