Ein deutlicher Trend ist nicht auszumachen. Die preisgekrönten Arbeiten von acht jungen Fotografen in der Ausstellung „Gute Aussichten“ zeigen inhaltlich und formal eine große Vielfalt. Sie beschäftigen sich mit Dritter Welt und Tod, mit Kindheitserinnerungen, kulturellen Spannungsfeldern und dem Medium der Fotografie an sich. Dafür benutzen die jungen Künstler das klassische Porträt ebenso wie Video-Dauerschleifen oder eine visuelle Kartografie; analoge Arbeiten stehen digitalen gegenüber. Zum elften Mal präsentieren die Deichtorhallen „Gute Aussichten“, eine kompetente Jury hat aus 115 eingereichten Arbeiten acht Preisträger ausgewählt. 40 Hochschulen haben in diesem Jahr an dem Wettbewerb teilgenommen, so viele wie noch nie. „Gute Aussichten“ ist ein geschlossener Wettbewerb, die Professoren dürfen die Arbeiten der fünf besten Studierenden ihres Jahrgangs einreichen. „Wir möchten den Preisträgern eine große Öffentlichkeit bieten und ihnen als Sprungbrett dienen, um später im Kunstbetrieb anzukommen“, sagt Josefine Raab, die diesen Wettbewerb gegründet hat.

Jeder der acht Nachwuchsfotografen konnte im Haus der Photographie einen Raum gestalten. Im hohen Mittelblock in den Deichtorhallen durfte Andrea Grützner ihre zum Teil großformatigen Plakate hängen. Die Absolventin der Fachhochschule Bielefeld hat mit „Erbgericht“ einen Gasthof gleichen Namens in ihrem sächsischen Heimatdorf fotografiert. Bei ihren analogen Aufnahmen hat sie weißes und farbiges Blitzlicht benutzt und so neue Bildräume geschaffen. Obwohl sie die Zimmer des historischen Hauses dokumentiert, entsteht durch die Farben eine Transformation ins Abstrakte. Ihre beeindruckenden Bilder erzählen Geschichten, obwohl Menschen darauf nicht vorkommen.

Ungewöhnlich ist in diesem Jahr auch das Projekt von Stefanie Schroeder von der Hochschule für Grafik und Buchkunst aus Leipzig. „Ein Bild abgeben“ heißt ihr Video-Loop. Sie hat Bilder und Filme zu einer Schleife zusammengeschnitten, die bei studentischen Nebenjobs entstanden sind. Schroeder hat Werbejobs, unter anderem für Parfums und Präservative, gemacht, bei denen die Kamera zum Einsatz kam, die Fotografie aber nur eine Nebenrolle spielte. Wichtig sind neben den Bildern auch die „Briefings“, also Kurzeinweisungen über die gestellte Aufgabe. Diese gesprochenen Briefings haben absurde Qualitäten und erinnern Schroeder an Performance-Kunst der 60er-Jahre. „Das Medium Fotografie wird hier auf eine intelligente Art zusammengefasst, die auf den ersten Blick nichts mit Kunst zu tun hat. Doch es ist zu sehen, dass wir überall von Fotografie umgeben sind. Durch die Transformation in dieser Arbeit wird sie jedoch wieder zur Kunst“, fasst Ingo Taubhorn, Jury-Mitglied bei „Gute Aussichten“ und Kurator im Haus der Photographie, Schroeders ungewöhnliche Arbeit zusammen.

Auf den zweiten oder dritten Blick ist auch bei Eduard Zents Porträts erst zu erkennen, dass es auf seinen Bildern Gegenstände gibt, die dort nicht hingehören. Wie ein Psychologiebuch oder grüne Fußballschuhe, ein Motorradhelm oder ein Tablet. Auch Zent, in Russland geboren und als Kind nach Deutschland gekommen, studierte in Bielefeld. Er hat in seinem Bekanntenkreis nach jungen Menschen gesucht, die wie er andere kulturelle Wurzeln haben, aber jetzt in der westlichen Welt, in Deutschland leben. Jedes seiner Modelle trägt eine traditionelle Tracht, die ihm gehört und die es zu gegebenen Anlässen auch anzieht. Diese oft farbenprächtigen Gewänder und ungewöhnlichen Kopfbedeckungen stechen sofort ins Auge und dominieren die Bilder. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man dann die Gegenstände, die dem Alltag entstammen und diesen Zwiespalt zwischen der Kultur der Eltern und der modernen Gesellschaft offenbaren.

Das Mittel der Porträtfotografie benutzt auch Kolja Warnecke bei „Spuren“. Sechs Monate lang folgte der Absolvent der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften einer Frau mittleren Alters namens „Bea“. Warneckes Bilder lassen erahnen, dass diese Frau ein isoliertes und sehr einsames Leben führt. Der Betrachter erfährt im Detail nicht, welches Leid ihr zugestoßen ist, dennoch erzählen seine Aufnahmen sehr viel über „Bea“, weil die Distanz zwischen Fotografen und seinem menschlichen Objekt aufgehoben ist.

Auf völlig andere Spurensuche haben sich Jannis Schulze (Kunsthochschule Berlin-Weißensee) und Katharina Fricke (Bielefeld) begeben. Schulze ist nach Quisqueya gereist, die Insel, auf die Christoph Kolumbus als erster Europäer seine Füße setzte. Dreieinhalb Monate ist er dort gewesen, hat Material gesammelt und versucht, das alltägliche Leben in der Dominikanischen Republik einzufangen.

Seine Arbeit ist gleichermaßen Archiv wie auch die 156 überwiegend in schwarz-weiß aufgenommenen, dicht gehängten Fotos von Katharina Fricke. Sie ist 13 alltägliche Wege der Bewohner des Bielefelder Stadtteils Sennestadt abgegangen. Die Aufnahmen wirken trist, doch es ist der heutige Blick, mit dem man diesen Stadtteil als furchtbaren Ort abtun würde. In den 60er-Jahren war Sennestadt für viele Flüchtlinge das erste Zuhause nach dem Krieg. Es wurde damals als autogerechte Stadt konzipiert und ist ein Beispiel für Städteplanung im Wiederaufbau der Bundesrepublik. Fricke, die dort groß geworden ist, hat in „Ein Tag im Oktober. Oder November. Oder Dezember.“ ihr Viertel kartografiert. Die Aufnahmen besitzen auch keinen zeitlichen Fixpunkt. Sie könnten heute gemacht worden sein oder vor zehn oder 20 Jahren, aber sie haben archivarische Bedeutung.

Marvin Hüttermann (Fotoakademie-Köln) zeichnet sein dokumentarischer Blick auf den Tod („Es ist so nicht gewesen“) aus, Karolin Back (Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main) experimentierte mit Matterhorn-Aufnahmen („Was ist eine Sekunde, wenn neben ihr die Welt steht“). Zwei weitere Beispiele für die hohe Qualität des deutschen Fotografen-Nachwuchses.

Gute Aussichten – Junge Deutsche Fotografie Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg, Deichtorstraße 1-2, Eintritt 10, ermäßigt 6 Euro, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zahlen keinen Eintritt; die Ausstellung läuft bis zum 8.3., dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr