Der flämisch-marokkanische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui gilt derzeit als gemeinsamer Nenner für all jene, denen John Neumeier zu klassisch und Jérôme Bel zu radikal ist. Zuletzt hat Cherkaoui in Arbeiten wie „Puz/zle“ über immer wiederkehrende Glaubensfragen und Größenwahn philosophiert und in der nicht minder spirituell verorteten „Genesis“ mit Mitteln der Bewegung über Werden und Vergehen nachgedacht.

Vom 17. bis zum 20. Dezember gastiert er auf Kampnagel als Teil eines Doppelabends. „Spirit“ umfasst das von Cherkaoui kreierte „Noetic“ und die Arbeit „Metamorphosis“, geschaffen von Saburo Teshigawara, ebenfalls ein ausgewiesener Könner seines Fachs. Beide Teile werden getanzt von der renommierten Göteborgsoperans Danskompani, einem schwedischen Ballettensemble, das sich immer wieder auch in Bereiche des zeitgenössischen Tanzes vorwagt. Der renommierte britische bildende Künstler Antony Gormley hat wie zuvor bei dem Stück „Sutra“, mit dem Cherkaoui seinen internationalen Durchbruch feierte, die Bühneneinrichtung übernommen.

Die Tänzer bewegen sich im Vogue-Stil in einem architektonisch streng angeordneten Raum, bewegen riesige Drahtkreise, die eine Erdkugel formen, eine Metapher für das Leben, die Welt. Die Frauen tragen hochelegante Lederkleider mit Knieschonern des Modedesignerduos Les Hommes, die Männer vollführen Kopfstände in traditionellen, zugleich aber futuristischen Anzügen. Gemeinsam murmeln sie Beschwörungsformeln ähnelnde Texte.

Auch hier geht es um die ganz großen Fragen des Lebens. Um das, was die Welt im Innersten zusammenhält, um die Verbindung von Körper und Seele. Die im Cinemascope-Format komponierte Musik von Szymon Brzóska schafft eine zusätzliche Ebene. „Ich habe keine Angst vor Gefühlen“, sagt Sidi Larbi Cherkaoui. Das instinktive Bedürfnis des Menschen, zu erfahren, wie sich die Realität zusammensetzt.

Im zweiten Teil „Metamorphosis“ des japanischen Bildhauers, Poeten und visuellen Artisten Saburo Teshigawara schafft dieser zur Musik von Ravel und Messiaen eine Verbindung aus kafkaeskem Schmerz und einem fast Zen-artigen Minimalismus. Die sehr puristisch kostümierte Kompanie findet darin nunmehr zu überirdisch schönen Bildern. Es geht auch hier um die Verletzlichkeit der Existenz. Um den Übergang von Schmerz zu Entspannung. „Auch wenn wir denken, wir sind ruhig, bewegen sich unsere Körper. Diese Bewegung bedeutet Leben. Aufzuhören heißt Sterben. Leben ist eigentlich wie Radfahren. Wenn man aufhört, verliert man die Balance und fällt vornüber. Leben ist Balance in der Bewegung.“

Beide Teile wirken jeder für sich und doch zusammen. Eine wunderbare Gelegenheit, die beiden Choreografen Cherkaoui und Teshigawara mit ihrer individuellen Handschrift kennenzulernen.

Göteborgsoperans Danskompani/Sidi Larbi Cherkaoui/Saburo Teshigawara: „Spirit – Noetic & Metamorphosis“ Mi 17.12.bis Sa 20.12., jeweils 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten zu 36/24/12, ermäßigt ab 8 Euro