Als die Zuhörerin direkt neben dem Grab zu weinen beginnt und das Lied weiter erklingt, da scheinen sich der Friedhof und der Tod für einen kurzen Moment zu lösen aus der Starre der Trauer. Die Frau vergießt Tränen alle Strophen hindurch, und am Ende wird sich die Sängerin leise bei ihr entschuldigen: Verzeihen Sie, dass wir Sie zum Weinen gebracht haben. Ein feiner, ein höflicher, ein intimer Moment – und ein Geschäft: Das Lied wird direkt am Grab bestellt und bezahlt.

Dafür sind in Mexiko die Mariachis da, meist männliche Sänger, die in Kostüm und begleitet von Bläsern, Bassgitarren und Geigen für zehn Pesos ihre Dienste anbieten. Sie singen auf Plätzen, werden für Familienfeste gebucht oder eben für einen spontanen Friedhofsauftritt am „Día de los muertos“ am 1. November, und vor allem: Sie stehen in harter Konkurrenz zueinander.

„Was ist das für ein Scheißleben“, heißt es in dem Lied, das dem Film den typischen Doris-Dörrie-Titel gibt, „es spielt mit uns wie mit Puppen, ach, dieses schöne Scheißleben.“ Es sind oft derbe Texte mit Sinn für Paradoxien des Daseins, von denen die Regisseurin in ihrem Dokumentarfilm sich ganz und gar faszinieren lässt, als habe sie hier eine Seelen- oder aber Werkverwandtschaft für sich entdeckt.

Zwar verschwindet Doris Dörrie wortlos hinter der Kamera – anders als in ihrem Dokumentarfilm über ihre eigene buddhistische Horizonterweiterung, „How to Cook your Life“, der 2007 in die Kinos kam. Doch scheint es sich um ein diskretes Selbstporträt der 59 Jahre alten Regisseurin als Glücks- und Todesforscherin zu handeln. Das offensichtliche Interesse Dörries an der Mariachi-Welt ist leicht auszumachen: Frauen behaupten sich hier in einer Männer-Domäne.

In einem weitgehend offline stattfindenden Alltag fern von Pro-Quote-Petitionen und Aufschrei-Tweets argumentieren die weiblichen Mariachis aus der erlebten Ungerechtigkeit heraus geradezu klassisch feministisch. Im Unterschied zu westlichen Selbstverwirklichungs-Künstlern spielt hier die Religion eine große Rolle: Gott, sagt eine der Sängerinnen, habe ihr das Talent gegeben. Dieses nicht auszuüben wäre Verschwendung. Dörrie zeigt aber auch die pure Freude der Frauen an der Verwandlung: „Zu Hause sind wir normal, draußen sind wir glamourös.“

Kameramann Daniel Schönauer und Cutter Frank Müller übersetzen die Direktheit der Lieder in eine nie anmaßende oder auftrumpfende Musikalität der Bilder: Das langsame Verwehen der Stücke, ihr schnelles Pulsieren und ihr Angeschlagenwerden finden darin stets eine visuelle Entsprechung.

Dass bei aller Geschmeidigkeit eine gewisse Redundanz entsteht, mag am Widerstreit zweier dörriescher Zugangsweisen liegen: Seinlassenkönnen und Gestaltenwollen.

Von meditativer Leere ist der Film weit entfernt. Es entsteht eher der Eindruck des Unentschiedenen – und eines vollen Herzens.

„Dieses schöne Scheißleben“ Mexiko/Deutschland 2014, 90 Min., o.A., R: Doris Dörrie, täglich im Passage, Koralle, Blankeneser Kino; www.diesesschoenescheissleben.de