Am Anfang stehen grausame Leichenfunde, doch die Art, wie die zerstückelten Leichenteile in einer fließenden Bewegung in den Fokus gleiten, verrät schon in den ersten Bildern den ganz besonderen Blick des chinesischen Regisseurs Diao Yinan, dessen Film „Feuerwerk am helllichten Tage“ auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.

Halbverschüttet liegt eine in Plastikfolie verschnürte Hand unter schwarzen Kohlen. Ein Schwertransporter kommt auf die Halde gefahren, nimmt sie mit Schaufelrädern auf, Kohlen und Hand reisen in einem langen Zug durchs nordchinesische Land, um auf einem Fabrikförderband verpackt und verteilt zu werden.

So wie in diesen Szenen das Verbrechen mit dem Arbeitsalltag verwoben ist, funktioniert der ganze Film: „Feuerwerk am helllichten Tage“ ist eine Hommage an die stilisierte Künstlichkeit des amerikanischen Film Noir und der französischen Serie Noire, und zugleich eine erstaunlich wahrhaftige und durchaus kritische Dokumentation des harschen Alltags im modernen China. Damit markiert der Film den Anfang einer neuen Ära des chinesischen Kinos, in dem gelockerte Zensurbedingungen mehr Spielraum für ungeschönte Lebenswirklichkeiten erlauben. Man muss schon sehr wachsam sein, um die Spuren der Zensur zu entdecken, wenn etwa ein versoffener Ermittler, der zarte Bande mit einer Mordverdächtigen knüpft, nicht im staatlichen Polizeidienst angestellt ist.

Die ermittelnden Polizisten nehmen die Fährte des Mörders bald auf. Bei der Festnahme stellen sie sich dann aber so tölpelig an, dass alle Verdächtigen und zwei Polizisten sterben und ein dritter schwer verwundet vom Dienst suspendiert wird. Fünf Jahre später hat Kommissar Zhang Zili (Fan Liao, der auf der Berlinale ebenfalls mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde) nur noch eine armselige Existenz als versoffener Wachmann. Als sich dann aber ein ähnlicher Fall ereignet, sieht er die Chance zur Rehabilitierung und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Wenn er im schummrigen Licht von Neonreklamen durch nächtlich verschneite Straßen in der chinesischen Provinz streift, mutet er an wie eine chinesische Arbeiterversion des einsamen amerikanischen Noir-Detektivs. Und wie einst Humphrey Bogarts Marlowe gerät auch er in den Bann einer schönen, jungen Frau, die nicht ganz unschuldig sein kann.

So wie vor kurzem auch Jia Zhang-kes in „A Touch of Sin“ oder Ning Hao in seinem ebenfalls im Berlinale-Wettbewerb gezeigten „No Man’s Land“ destilliert auch Diao seine Geschichte nicht aus den flirrenden Metropolen Chinas, sondern aus schäbig provinziellen Industrie-Regionen. Und wie diese nutzt auch er bekannte Genre-Muster als Gerüst für eine ernüchternde Analyse des boomenden China, in dem der rasende Fortschritt längst nicht mehr nur Verheißung ist, sondern auch ein Fluch.

Feuerwerk am helllichten Tage China 2014, 106 Minuten, ab 16 Jahren, Regie: Yinan Diao, Darsteller: Fan Liao, täglich im 3001 (OmU), Abaton