Das Programmheft ist grellbunt bis quietschrosa, die Musiker werden an der Leine auf die Bühne geführt, und der abgefeimteste, von Beatrice Reece mit wirklich unfassbar toller Stimme vorgetragene Song heißt „Das Loch“. Der Text beginnt mit: „Da ist ein Loch, ganz tief in mir. Da fehlt mir ein Stück – es ist an der Zeit, das Loch gehört geflickt.“ Gerade mal zehn Minuten sind vergangen, da lacht sich das Publikum, das zu rund 70 Prozent aus Frauen besteht, schon recht lautstark weg. Wir sitzen in dem Musical „49½ Shades of Grey“, der krachend lustigen Parodie auf das in diesem Jahrhundert bisher weltweit meistverkaufte Buch.

In der erotischen Romantrilogie „50 Shades of Grey“ geht es um Sex, Fesselspiele, Sadomaso-Fantasien. Die Geschichten der britischen Autorin E.L. James über den Milliardär Christian Grey, der eine junge Studentin mit Unterwerfungsspielen heißmacht, hat weltweit alle Rekorde gebrochen und fand mehr als 100 Millionen Käufer, vor allem Käuferinnen. Und in der Literatur entstand ein neues Genre, „Mami-Porno“. Der Regisseurin und Kabarettistin Gerburg Jahnke dienten die Romane als Inspiration für eine Musicalparodie, die mit ein bisschen weniger Grey auskommen muss und „49 ½ Shades of Grey“ heißt. Jahnke, die schon sehr erfolgreich „Heiße Zeiten“ im St. Pauli Theater auf die Bühne brachte, erzählt nun aber nicht den Roman als Bühnenfassung nach. Gerburg Jahnke baut, frei nach der amerikanischen Musicalpersiflage, eine Rahmenhandlung, die mit Grey, den Wünschen der Frauen nach erotischer Abwechslung und Frauen- und Männerfantasien spielerisch umgeht und das alles auch ein bisschen auf die Schippe nimmt. Lustige Klischees, eindeutig zweideutige Lieder, drei Frauen im mittleren Alter, die einen Buchclub gründen und schon ziemlich bald nach DEM BUCH greifen, das sie aus ihrem langweiligen Alltag entführen soll, darum geht’s auch. „Ein gutes Buch, und nur für uns gemacht –Millionen Frauen hat es um den Schlaf gebracht. Und die Moral ist piepegal, Hier geht’s um Sex, verdammt noch mal“, singen die Buchdamen, drei verzweifelte Hausfrauen, am Anfang.

Sabine (Sabine Urig) ist Pragmatikerin, räumt ihrem Mann alles hinterher und weiß genau, dass sie unter ihrem Niveau geheiratet hat. Susanne (Kira Primke) wurde von ihrem Partner für eine andere verlassen und versucht sich abzulenken, Jutta (Ines Martinez) ließ sich gerade scheiden und trifft sich nun mit wechselnden Liebhabern. Von ihr kommt der Vorschlag, „Shades of Grey“ zu lesen. Und schon ergehen sich die drei in gemeinsamen Fantasien über die junge Ana (Beatrice Reece), die für ihre verkaterte Mitbewohnerin Katrin einen Job übernimmt und vom penetranten Latino José bedrängt wird. Dabei fallen dann so schlüpfrige Sätze wie: „Egal, wie er heißt, ich erkenne ihn an seiner riesigen Ausstrahlung.“ Schließlich trifft Ana auf den scharfen Multimillionär Christian Grey und gibt ihre geheimen Sehnsüchte preis.

Spätestens jetzt weiß jeder im Zuschauerraum, dass das Ganze als riesiger Spaß inszeniert worden ist. Die drei Damen sind Durchschnittsfrauen, dick, dünn, mit Zuppelhaaren oder Brille. Wahrscheinlich sehen sie genauso aus, wie die Millionen von Leserinnen, die die Bücher verschlungen haben. Oder aber wie die Zuschauerinnen. Und Ana ist keine jungfräuliche Elfe, sondern ganz viel Frau. Der Höhepunkt aber ist Christian (André Haedicke), selbstbewusst, reich, gewiss kein Beau, kein Clooney und zwischen Til Schweiger oder Jürgen Vogel dann doch eher auf der Vogelseite. Typisch Mann eben – selbstsicher, ohne dass man begreift, worauf sich das gründet. Der Kontrast zwischen der angeblichen Unerfahrenheit Anas und der Versiertheit Greys – er irritiert durch scheinbar unpassende Äußerlichkeiten und könnte nicht lustiger ausfallen.

Irgendwie wird alles auf die Schippe genommen, die Fantasien, die Klischees, selbst das Sexspielzeug und die Liebesgeschichten. So sieht keine romantische Komödie aus. Allenfalls, wenn sie auf eine Dampfwalze trifft. Und die Vorstellung, dass eine Frau in ihrer Fantasie von einem dieser Männer befreit werden möchte, ist absurd. José (Dustin Smailes) hat ein üppiges Brusthaartoupet und Schmalzlocken, bald tragen die Lesedamen Lack und Leder, eine „Innere Göttin“ in Goldlamé gekleidet, tritt auf und verkörpert das Wunschtraumgeschwafel der esoterisch Angehauchten, die gern auch Blümchensex haben. Im Gegensatz dazu gibt’s ein bisschen schmutziges Mundwerk, drei tanzende Plüschpenisse. Auf der Bühne wie im Publikum gibt man sich bald ein bisschen durchgedreht und albern. Macht nix, die schmissigen Lieder, arrangiert von Jan Christoph Scheibe, bringen Soul und Rock, Gospel und Musical und Stimmung und klingen, besonders wenn Ana singt, ganz wunderbar. Viel getanzt werden kann auch.

Die alte Theaterregel, „Dezenz ist Schwäche“, wird bei diesem Abend bis zum Anschlag bedient. Und wer hat eigentlich gesagt, dass Sex nicht lustig sein kann?

Musical: 49 ½ Shades of Grey Voraufführung Do 5.6. bis So 8.6., jeweils 20 Uhr, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz, Karten ab 39,90 Euro unter der Ticket-Hotline T. 30 30 98 98; Premiere: Di 10.6., 20 Uhr, die Vorstellungen laufen dann bis zum 26. Juli