Der französische Filmemacher Robert Bober, 1931 in Berlin geboren, musste mit seiner jüdischen Familie vor den Nazis nach Frankreich fliehen, wo er später als Regieassistent unter anderem für François Truffaut (1932–1984) arbeitete. Mit rund 80 Jahren macht sich Bober nun auf die Suche nach den Spuren seines Urgroßvaters, den er selbst nie kennengelernt hat.

Wolf Leib Fränkel wollte 1904 von Polen nach Amerika auswandern, wurde aber auf Ellis Island wie so viele abgewiesen und landete schließlich auf seiner Rückreise in Wien. Dort nahm Fränkel seinen alten Beruf wieder auf und arbeitete bis zu seinem Lebensabend als Blechschmied.

Bober besucht die Orte, die sein Urgroßvater wohl kannte, die Kaffeehäuser und großen Boulevards, den Prater und auch den Friedhof, auf dem er dessen letzte Ruhestätte vermutet. Bober nutzt seine sehr persönliche Familiengeschichte, um sie zu einem leisen und klugen Essayfilm zu erweitern, über das reiche jüdische Kulturleben Wiens vor der Machtergreifung.

Er erzählt auch von Intellektuellen wie Stefan Zweig, Joseph Roth und Arthur Schnitzler, die nicht nur die Stadt geprägt haben, sondern auch Bober auf der Suche nach seiner eigenen Identität, die er nicht nur an den beiden Kerzenhaltern festmacht, die er geerbt hat und zu Feiertagen zum Leuchten bringt.

In einer bewegenden Auseinandersetzung zeigt der Filmemacher, dass seine Erinnerung nur eine Annäherung sein kann. Gerade diese Sehnsucht nach dem, was fehlt, macht seinen Film so authentisch.

„Wien vor der Nacht“ A/D/F 2016, 73 Minuten, ohne Altersbeschränkung, Regie: Robert Bober, So 12.3., 12 Uhr, Metropolis, Kleine Theaterstraße 10, Karten 7,50 Euro