Der zeitgenössische Pop kann viele verschiedene Formen annehmen. Am besten aber ist er erfolgreich und dabei nicht plump im Mainstream unterwegs – wie etwa das Londoner Trio The XX, dem soeben mit seiner dritten Platte, „I See You“, ein blitzblankes Nummer-eins- ­Album gelungen ist.

Bekannt wurden Jamie Smith, Romy Madley Croft und Oliver Sim am Ende des vergangenen Jahrzehnts, als sie ihre kühle, minimalistische Version von Indiepop ins Rennen schickten. Die Stimmen von Croft und Sim können absolut narkotisierend sein. Dazu dann die Soundflächen, die eine Stimmung transportieren, das gleich etwas passieren könnte, in Akkorde gegossene Erwartung – das verfing bei vielen Hörern. Das Debüt „XX“ wurde mit Stücken wie „VCR“, „Crystalised“ und „Islands“ zum Liebling aller Schmalspurmelancholiker. Außerdem empfahl sich The XX nachdrücklich als Soundtracklieferant für Film und Fernsehen. Kommt immer mal wieder vor, dass man einen schönen Song der Gruppe im Hintergrund laufen hört.

Im Nachhinein betrachtet war das zweite Album, „Coexist“, nicht mehr ganz so süchtig machend, nicht mehr ganz so schön wie der Erstling, aber immer noch sehr gut. Danach ließ sich das Trio vier Jahre lang Zeit für den Nachfolger. Das kam einem aber nicht so lange vor, denn Jamie Smith, der in der Band für die Beats, die Synthies und das Programmieren zuständig ist, veröffentlichte 2015 sein Soloalbum „In Colour“, auf dem als Co-Stars auch seine beiden Bandkollegen zu hören sind.

„In Colour“ war insgesamt aber freilich all das, was The XX eigentlich nicht ist: ein absolut lebensbejahendes, fröhliches und extrem tanzbares Stück Popmusik. „Gosh“ und „The Rest Is Noise“ waren die Songs für einen heißen Sommer. Die Schwingungen dieser Platte nahm die Band nun gerne auf. „I See You“ ist stimmungsmäßig, obwohl es wieder viel um Herzeleid und Beziehungsstress geht, und auch, was die Produktion angeht, eine Flucht nach vorn. Die erste Single, „On Hold“, ist ein wunderbares Discolied, das der Band den einen oder anderen Fan hinzugewinnen dürfte. Der Song wurde bei „Saturday Night Life“ vorgestellt.

Herrlich zu sehen, wie sich Sim und Croft beim Refrain ein bisschen unbeholfen mit ihren Instrumenten zur Musik wiegen – als wären zwei düstere Prediger plötzlich im Bällebad gelandet, wo sie sich lieber wegducken würden.

Aufgenommen wurde dieses XX-Update, das vom Dunklen ins Helle strebt, in Texas, New York City, Los Angeles, London und Reykjavík über einen Zeitraum von annähernd zwei Jahren. Es ist ein kleines Meisterwerk dabei herausgekommen, weil bei allem Willen zur sanguinischen Politur immer noch die stilbildende Intimität anzutreffen ist.

Das beste neue Stück dieser live unaufgeregt aufregenden Band trägt den Namen „Replica“ – aber eine Kopie ist The XX überhaupt nicht. Viel eher sind die drei clevere Songschreiber, die ihren Sound sachte genau so viel verändert haben, dass sie in der unübersichtlichen Pop-Gegenwart maximal erkennbar bleiben. Der Anfang in ein gutes Pop-Jahr wäre mit The XX jedenfalls gemacht.

The XX So 12.2., 20 Uhr, Sporthalle Hamburg, Krochmannstraße 55, Tickets zu 47,75 Euro im Vorverkauf und an der Abendkasse