Das Haus der Photographie präsentiert drastische Underground-Fotografien. Jugendliche unter 16 Jahren haben nur Zutritt in Begleitung Erwachsener.

Unter der Oberfläche oder jenseits der bürgerlichen Gesellschaft geschehen seit jeher Dinge, die viele bei hellem Licht nicht zu sehen wünschen. Sie geschehen am Rand, in der Subkultur, in speziellen Kreisen mit besonderen Vorlieben, oder sie geschehen, weil es Armut gibt und Verzweiflung. Obdachlose sterben im Dreck, Prostituierte räkeln sich auf ihren Matratzen, Transvestiten mit offenen Hosen und blanken Brüsten warten am vermüllten Flussufer auf die nächste Begegnung, oder junge Heroinsüchtige teilen sich dieselbe Nadel.

Die Dokumentar-Fotografen Ken Schles, Jeffrey Silverthorne und Miron Zownir zeigen solche Szenen, jetzt präsentiert das Haus der Photographie in den Deichtorhallen rund 450 dieser Bilder. Kurator Ingo Taubhorn hat hier seine bisher „persönlichste Ausstellung“ realisiert, zu der Jugendlichen unter 16 Jahren der Besuch nur in Begleitung Erwachsener gestattet ist.

Dort, wo es Menschen nur im Verborgenen hinzieht, wo sich Faszination, Befremden, Grauen und Voyeurismus überschneiden, genau da haben sich die drei Fotografen bevorzugt aufgehalten. Überwiegend handelt es sich in dieser Schau um Fotografien der 1980er-Jahre, jener Zeit nach der sexuellen Befreiung und vor Aids. Miron Zownir, der wortgewaltige Fotograf, Filmemacher und Autor, sagt: „Damals war nach außen hin alles viel schmutziger. Jetzt läuft das versteckter, denn heute leben wir in einer viel restriktiveren Zeit als damals. Die Welt ist wesentlich verlogener geworden.“

Jeffrey Silverthorne ist der stilistisch vielseitigste von allen, er arbeitet mit Farbe, Schwarzweiß, mit Collagen, Doppelbelichtungen und Polaroids. Sein großes Thema ist der Mensch, Verführung, Fleischeslust, Last und Tod. Frei nach dem französischen Romancier Honoré de Balzac könnte man seine erste, malerisch aufgefasste und farbige Serie „Glanz und Elend der Kurtisanen“ nennen. Die oft tragischen Frauenporträts erinnern an Goyas nackte Maya oder an erotisch posierende Haremsdienerinnen, doch ist hier nichts zurechtfrisiert, sondern echt. Sehr real wie all die übrigen nackten Frauen, die ihre Brüste halten wie Früchte in einer Schale. Unschuldig sündig.

Sie wirken so offensiv wie die geschminkten Transsexuellen, die dem Fotografen den eigenen Körper darbieten. Melancholische Hermaphroditen, Adam und Eva zugleich. Am weitesten ist Silverthorne ins Existenzielle vorgedrungen, als er im Leichenschauhaus fotografierte. Wir sehen den Kopf eines Toten, zwischen dessen Fingern das Foto eines Teenagers steckt. Oder das Bild einer nackten jungen Frau, die im Schlaf gestorben ist, den eigenen Körper in Stacheldraht eingeschnürt.

Der Schrei nach Intensität, Liebe oder Entgrenzung, auch der Schrei des Schmerzes ist in dieser drastischen Großstadtmenschen-Ausstellung unübersehbar. Deichtorhallenchef Dirk Luckow nennt sie mit Recht „einen Triumph der Fotografie. Weil sie authentisch und direkt ist, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen, manipulativen Bilderwelt.“

Bei Ken Schles, der schon 1988 durch sein Buch „Invisible City“ mit einem Schlag berühmt wurde, ist es fast so, als habe er die Kamera am eigenen Körper festgeschraubt. Er selbst war Teil des nächtlichen Lebens an der ­Lower Eastside, wo er wohnte und sich mit seinen Freunden auf Partys herumtrieb, ohne sich ihnen wirklich zu nähern. Trotz der Intimität, die viele seiner ausschnitthaften, oft verwischten Momentaufnahmen haben, kann der Betrachter hier nur selten die Distanz aufheben. Eher wird er Beobachter eines rauschhaften Lebensgefühls, der nächtlichen Gänge vorbei an hohen Brandmauern, über einsame, geflickte Fußwege in irgendwelche heruntergewohnten Buden mit vollen Aschenbechern. Das Leben hier im Großstadtschatten ist überhaupt nicht romantisch. Es ist hart, cool, anonym und unberechenbar. Vielleicht hat es deshalb damals so eine Anziehungskraft entfacht.

Der Dritte im Bunde, Miron Zownir, ist zugleich der radikalste. Seine Arbeit sieht er als „Vergrößerungsglas“ auf die Gesellschaft und insbesondere auf ihre Ränder. In New York erlebte er, wie extrem die Homosexuellen ihre Befreiung auslebten. Was ihn noch heute am meisten beschäftigt, sagt er gleich am Anfang: „Für die Underdogs ist kein Platz mehr.“ Anfang der 1990er-Jahre hat er in den Moskauer Straßen fotografiert: Menschen, die „auf der Straße verrecken“. Blind, krank, verhungernd, erfrierend, ihre abgemagerten oder deformierten Körper anbietend, in der Hoffnung auf ein paar Rubel. „Die Presse war damals nicht bereit, diese Fotos in ihrer ganzen Brutalität zu zeigen. Sie passten nicht ins Bild und wurden erst Jahre später ausgestellt.“

Mit derselben Radikalität, demselben Respekt hatte er sich den New Yorker Schwulen auf den „Sex Piers“ genähert, wo sie sich als Fetischisten feierten, mit Masken oder Strapsen aufmarschierten oder sich als Jesus Christus inszenierten. Es war eine wilde, exzessive Zeit damals. Sie war schnell vorbei, als Aids kam. Die meisten dieser Paradiesvögel werden längst tot sein, aufgebraucht im kurzen Rausch der Sinne.

Ken Schles, Jeffrey Silverthorne, Miron Zownir“ So 22.5. 11 bis 18 Uhr, Haus der Photographie in den Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 6 Euro, Jugendliche unter 18 Jahren frei; die Ausstellung ist bis zum 7.8., dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen; Jugendliche unter 16 Jahren haben nur Zutritt in Begleitung Erwachsener