Der lettische Theatermacher Alvis Hermanis war bereits mehrnals zu Gast bei den Lessingtagen im Thalia Theater. Zum Ende dieser Spielzeit wird er auch erstmals eine Neuinszenierung abliefern. „Späte Nachbarn“, 2009 uraufgeführt, stammt aus der ruhmreichen Ära von Johan Simons an den Münchner Kammerspielen und ist mit dem dortigen Dramaturgenteam nach Hamburg gekommen. Vom 19. November an ist es im Thalia in der Gaußstraße zu sehen.

Ein Glückfall für das Theater. Wie kein Zweiter hat der jiddische Geschichtenerzähler und Nobelpreisträger Isaac B. Singer die Welt des untergegangenen Milieus der aus Osteuropa nach Amerika gelangten Juden beschrieben. Und so sind die beiden Episoden eine kleine Sternstunde des Theaters. Die große Mimin Barbara Nüsse und der aus langen Schauspielhaus-Jahren unvergessene André Jung begegnen sich hier in zwei Séancen als schräge Paare.

Da ist zum einen der in den 30er-Jahren von der Alten in die Neue Welt, nach Amerika, immigrierte Harry. Jetzt lebt er in Miami Beach, trägt Hawaii-Hemd, ist mit Immobilien zu Geld und doch in seiner neuen Heimat nie angekommen. Drei Ehefrauen und mehrere Kinder sind vor ihm aus der Welt gegangen. Eines Tages steht eine neue, schrill herausgeputzte Nachbarin vor der Tür und weckt in dem innerlich längst

Hermanis lässt die Betrachter in einem langen Intro André Jung zuschauen

Erstarrten schlummernde Leidenschaften wieder auf. Ob es den beiden gelingt, sich auf Dauer auf ein neues Leben einzulassen? Hermanis lässt die Betrachter in einem langen Intro dem wunderbaren André Jung zuschauen, wie er mit Schlaflosigkeit und anderen körper­lichen Bedürfnissen ringt.

Auf anrührende Weise skurril ist auch die zweite Geschichte von Mrs. Kopitzki und Dr. Kalischer, jüdischen Einwanderern in New York. Sie verschafft ihm mit den obskuren Mitteln der Telepathie Begegnungen mit seiner in der Alten Welt zurückgelassenen Geliebten.

Bühnenbildnerin Monika Pormale hat für die erste Séance die seltsam trostlose Wohnanlage Floridas und für die zweite eine mit indischen Devotionalien zugemüllte New Yorker Hippie-Wohnung als Puppenstube errichtet. Auch hier darf sich der Zuschauer auf zwei Schauspieler der Extraklasse freuen, die dem kauzigen Personal tragische Größe und Würde verleihen ohne Scheu, sich hässlich oder sogar lächerlich zu machen. Auch ohne Angst vor Klamauk.

Alvis Hermanis leitet das Neue Theater Riga und gilt als formbetonter Stilist. Er selbst nennt sein Theater auf altmodische Weise an historischen Zusammenhängen interessiert. Häufig stellt er eine spirituelle Verbindung von Ost und West her. Dem Regietheater der Postmoderne wirft Hermanis eine Verflachung der Inhalte vor und wendet sich dagegen mit einer bewusst gegenläufigen, hyperrealistischen Ästhetik. Hermanis liefert eine interessante Gegenposition zu vielen Regisseuren seiner Generation, die auf jeden Fall eine Entdeckung lohnt.

„Späte Nachbarn“ Premiere Donnerstag 19.11., 20 Uhr, dann Freitag 20.11., 16.12., Thalia in der Gaußstraße (Altona, Bus M2), Gaußstraße 190, Karten zu 22 Euro unter der Telefonnummer 32 81 44 44;