Der acht mal zehn Meter große Felsen stürzte auf das Haus und zerstörte es völlig. Zwei Menschen starben, zwei weitere wurden verletzt.

Stein an der Traun. Sie wissen nicht, ob sie trauern oder ob sie sich freuen sollen. Zwar haben die Helfer nach stundenlangem Graben mit bloßen Händen Mutter und Sohn der vierköpfigen Familie aus dem oberbayerischen Stein a. d. Traun retten können, doch müssen sie Vater und Tochter tot aus den Trümmern des zerstörten Hauses holen. Der Sturz eines gigantischen Felsens auf das rund hundert Jahre alte Wohnhaus, das direkt an die Steinwand gebaut war, hat am Montagabend unsagbares Leid über die Familie gebracht.

“Die beiden Opfer waren vermutlich sofort tot“, sagt Polizeisprecher Franz Sommerauer am Dienstag. Die 40 Jahre alte Mutter und ihr 16-jähriger Sohn liegen mit schwersten Verletzungen - Brüchen und Quetschungen - im Traunsteiner Klinikum. Dort müssen sie nicht nur höllische körperliche Qualen ertragen, sondern auch den seelischen Schmerz über den Tod ihrer Liebsten verarbeiten. Am Dienstagnachmittag sollten sie darüber informiert werden. “Die Familie hat alles verloren, was man sich vorstellen kann“, sagt der Bürgermeister von Traunreut, Franz Parzinger. „In Stein an der Traun ist das Leben heute nicht mehr so wie gestern.“

Das Unfassbare geschieht gegen 19.45 Uhr. Nachbarin Rita Kimmeringer schildert, wie sie vor dem Fernseher saß. „Plötzlich hörte ich ein Geräusch, wie wenn große Steine aneinander gerieben werden. Aber ich dachte mir nichts dabei.“ Erst als immer mehr Rettungswagen vorfahren, „schaute ich doch auf die Straße und sah eine riesige Staubwolke“. Der Braumeister der unmittelbar danebenliegenden Schlossbrauerei hatte die Rettungskräfte alarmiert.

Der abbrechende bewaldete Fels, an den das zweistöckige Haus angebaut war, hat sekundenschnell alle Mauern, das Dach und die Zwischendecke zermalmt. Die Familie, die sich in einem Raum aufhielt, hat keine Chance, sich in Sicherheit zu bringen. Sie wird unter dem Bauschutt - mehr haben die zusammen über tausend Tonnen schweren Brocken nicht übrig gelassen - eingeschlossen.

Schon bald nach dem Felssturz sind die ersten Rettungsteams da. Sie stehen vor einem Trümmerhaufen. Als der Unglücksort von Scheinwerfern taghell ausgeleuchtet ist, sehen sie riesige Gesteinsbrocken aus den Trümmern ragen. „Das kann keiner überlebt haben“, schildert der leitende Notarzt des Bayerischen Roten Kreuzes, Joaquin Kersting, seine Gedanken bei der Ankunft am Unfallort. Der größte Felsbrocken hat das Ausmaß eines Omnibusses. Nach Schätzung des Geologen Andreas von Poschinger vom Landesamt für Umwelt wiegt allein einer der bis zu 200 000 Jahre alten kleineren Brocken an die 250 Tonnen.

Mit bloßen Händen graben sich die Helfer zu einem Hohlraum inmitten des Schutthaufens vor, in dem sie die Familie vermuten. Nach zwei Stunden hören sie Klopfgeräusche, später die Stimmen von zwei Menschen, wie Polizeisprecher Sommerauer schildert. Es dauert aber noch einmal eine kleine Ewigkeit, bis die mittlerweile an die 330 Helfer von Feuerwehren, Technischem Hilfswerk, Polizei, Rotem Kreuz und Malteser Hilfsdienst die Opfer sehen können. Zuerst finden sie den beim Wohlfahrtsverband Lebenshilfe beschäftigen 45 Jahre alten Familienvater - „leider tot“, wie Feuerwehrkommandant Herbert Kusstatscher sagt.

Die Retter graben sich zu den anderen Verschütteten vor. Ein schwerer Autokran und ein Radlader müssen unverrichteter Dinge wieder abrücken. Ihr Einsatz wäre zu gefährlich, es könnten weitere Gesteinsteile auf die Opfer stürzen. Um 01.12 Uhr holen die Helfer den Sohn lebend aus den Trümmern, um 01.23 die 18 Jahre alte Tochter - doch für die Gymnasiastin kommt jede Hilfe zu spät. Als letzte wird um 2.09 Uhr die Mutter lebend geborgen. Wie durch ein Wunder haben sie und ihr Sohn überlebt. Nach der medizinischen Erstversorgung können sie sagen, dass außer der Familie keine Menschen in dem Haus waren.

Als auch Rettungshunde nicht mehr anschlagen, wird die Suche eingestellt. Es hat in bitterkalter Nacht zu schneien begonnen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist noch in der Nacht an den Unglücksort gekommen. „Es ist kaum zu fassen, dass aus diesem Trümmerfeld Menschen lebend geborgen werden konnten“, sagt er.

Über die Unglücksursache gibt es am Tag danach nur Spekulationen. Vom anhaltend kalten Wetter als möglichem Auslöser ist die Rede und davon, dass sich schon wiederholt kleine Gesteinsbrocken aus der Felswand gelöst hätten. Geologe von Poschinger will sich darauf nicht einlassen. Er hat gerade erst mit seinen Untersuchungen begonnen. Einmal jährlich war das Gestein von Geologen untersucht, jedoch kein Zeichen für eine Gefahr gefunden worden. Nachbarin Kimmeringer musste mit ihrem Bruder und der Schwägerin die Nacht bei Verwandten verbringen, ihr ebenfalls in den Fels gebautes Haus war vorsorglich evakuiert worden. Am Dienstag durfte sie in ihr Heim zurückkehren. Angst, dass auch sie von einem Fels erschlagen werden könnte, hat die 73-Jährige nicht: „Ich wurde in dem Haus schon geboren. Da geh' ich nimmer raus.“