Serie Hamburger Medizingeschichte, Teil 1: Im Jahr 1823 nahm das Allgemeine Krankenhaus in St. Georg den Betrieb auf.

Zwar gehört die Verordnung von Bier und Wein zur Stärkung des Körpers heute nicht mehr zur medizinischen Therapie. Nichtsdestotrotz begann die moderne Medizin in Hamburg vor 193 Jahren – mit der Eröffnung des ersten städtischen Krankenhauses. Im November 1823 nahm das Allgemeine Krankenhaus in der Vorstadt St. Georg den Betrieb auf.

Der Andrang war groß. Bereits Ende Dezember wurden in der ursprünglich für 900 Patienten ausgelegten Klinik bereits 1002 Personen behandelt. „Sie litten unter Geschlechts- und Hauterkrankungen, Fieber, Durchfall, an Krankheiten, die mit Krämpfen einhergingen, wie zum Beispiel die Epilepsie, oder an Auszehrung“, erzählt Prof. Philipp Osten, kommissarischer Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik in der Medizin und des Medizinhistorischen Museums am Universitätsklinikum Eppendorf.

Patienten wurden mit Bädern, Tees und Kräutern behandelt

Um die Patienten kümmerten sich sechs Ärzte, vier Apotheker und 300 weitere Beschäftigte. Die Behandlung war allerdings mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten kaum vergleichbar. „Die Innere Medizin bestand aus Bädern, Tees und Heilkräutern“, sagt Osten. So wurde zum Beispiel die Krätze mit Bädern aus grüner Seife behandelt. Und weil es kaum Medikamente gab, war die Ernährung ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung. Gesunde Nahrung sollte die Patienten kräftigen und wieder auf die Beine bringen. Die Kranken erhielten regelmäßig Fleisch, was zu der Zeit sehr teuer war, sowie Wein und Bier. „Bier und Wein wurden als Nährstoffe angesehen, die nicht verderblich waren. Allerdings hatten sie einen wesentlich geringeren Alkoholgehalt als heute“, sagt Osten. Die Wundärzte, die heutigen Chirurgen, hatten noch nicht viele Behandlungsmöglichkeiten. Sie konnten Wunden versorgen, eitrige Abszesse eröffnen und Blasensteine entfernen.

Darüber, wer in das Krankenhaus aufgenommen wurde, entschieden allerdings nicht die Ärzte. Zuerst sah sich der Verwaltungsdirektor die Patienten an. Und wenn er seine Zustimmung gab, entschieden die Ärzte, wo er untergebracht wurde. Dafür gab es in dem neuen Krankenhaus strenge Vorgaben. Die Patienten wurden nach ansteckenden und nicht ansteckenden Krankheiten, nach Geschlecht und nach gesellschaftlichem Status getrennt untergebracht. Während die Armen in Sälen mit acht bis neun Personen lagen, hatten Wohlhabende, die ihre Behandlung selbst zahlten, oder Patienten, die über Innungen sozial abgesichert waren, ihr eigenes Zimmer. Privatpatienten gab es also schon damals.

Die Ärzte gewannen aber zunehmend an Einfluss, entwickelten eigene Strukturen und begannen, wissenschaftlich zu arbeiten. „Sie veröffentlichten Verlaufsbeobachtungen von Erkrankungen und verglichen diese mit der wissenschaftlichen Literatur, führten Sektionen durch, um die Todesursachen zu klären, begannen damit, Behandlungsmethoden in Tierversuchen zu erproben. Es wurden ärztliche Bibliotheken gegründet. Ärzte organisierten sich in Vereinen, in denen Vorträge gehalten wurden und Diskussionen sowie ein wissenschaftlicher Austausch stattfanden. Das war der Aufbruch in die moderne Medizin“, sagt Osten. Hinzu kam die technische Entwicklung. So wurden damals die ersten Stethoskope entwickelt, die damit das Abhören von Lunge, Herz und Bauch ermöglichten.

Hospitäler für unterschiedliche Stände und Bevölkerungsgruppen

Die Mediziner waren allerdings noch in zwei Klassen unterteilt. So gab es auf der einen Seite die akademischen Ärzte, die ihre Ausbildung an der Universität erhalten hatten und ihre Doktorarbeit auf Latein verfassen mussten, auf der anderen Seite die Wundärzte, die ihre Ausbildung am Krankenbett erhielten und auch die Sektionen durchführten.

Solche Leichenöffnungen wurden auch ab den 1820er-Jahren im damaligen Kurhaus durchgeführt, dem Hospital für die Armenversorgung. „Ein Hospital war in erster Linie eine Einrichtung, in die man aufgenommen wurde, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Es gab viele Hospitäler in Hamburg, für unterschiedliche Stände und Bevölkerungsgruppen“, sagt Osten. Im Kurhaus wurden aber nicht nur die Armen untergebracht, die sich im Alter nicht mehr selbst versorgen konnten, sondern auch Arme, die unter Krätze und Geschlechtskrankheiten litten. Das Kurhaus war zuerst mit dem Zuchthaus in einem Gebäudekomplex an der Alster untergebracht, dort, wo heute der Ballindamm entlangführt.

Zu diesem Hospital gehörten neben der Versorgung der Alten eine Badeanstalt, in der die Kranken mit besonderen Bädern behandelt wurden, Säle für Kranke, die an Geschlechtskrankheiten oder Krätze litten, eine Schule für arme Kinder, eine Anatomie-Kammer zur Ausbildung der Wundärzte, eine Rettungsanstalt für die Wiederbelebung von Ertrunkenen. Es gab dort auch eine Entbindungsanstalt, in der arme und „gefallene“ Mädchen ihre Kinder zur Welt bringen konnten.

Allerdings mussten die gesunden Frauen damit rechnen, dass ihnen nach der Geburt ihre Kinder weggenommen und in Pflege gegeben und sie selbst als Ammen verpflichtet wurden. So ist es zumindest in einer zeitgenössischen Darstellung des Kurhauses beschrieben. „Ob das wirklich so stattgefunden hat, sei dahingestellt. Denn die meisten dieser Frauen hingen an ihren Kindern und haben das sicher nicht einfach hingenommen. Allerdings muss man auch bedenken, dass die Kindersterblichkeit damals bei 50 Prozent lag“, sagt Osten.

Außerdem bemühte man sich im Kurhaus darum, die „Freudenmädchen“ zurück auf den Weg der Tugend zu bringen und ihnen eine Anstellung, zum Beispiel als Dienstmädchen, zu vermitteln. „Dieser Anspruch wurde sicher auch formuliert, um potenzielle Spender zu gewinnen. Denn alle öffentlichen Institutionen damals waren auch auf Spenden angewiesen. Es gab aber oft Testamente, in denen stand, dass Geschlechtskranke und Prostituierte nicht von der Stiftung profitieren sollten. Und das versuchte man damit zu umgehen“, sagt Osten.

Neben dem Kurhaus lag das Zuchthaus mit der Tretmühle

Wer ins Kurhaus aufgenommen werden wollte, musste einen Antrag beim Amt stellen. Die Genehmigung war dann gleichzeitig die Erklärung der Kostenübernahme. Die Verwaltung des Kurhauses wurde von zwei kaufmännischen Vorstehern geführt, für die inneren Angelegenheiten war der sogenannte Ökonom zuständig, der das Kurhaus nach den Vorgaben der Vorsteher führte.

„Das Kurhaus war das Sinnbild einer archaischen Armenverwaltung, in der die Obrigkeit die absolute Kontrolle über diejenigen ausübte, die dorthin kamen“, sagt Osten. Das Zuchthaus, in dem Gefangene saßen, die leichtere Straftaten begangen hatten, und das Kurhaus mit der Alten- und Armenversorgung und der Krankenversorgung waren in einer Institution untergebracht. Zum Zuchthaus gehörte auch eine Tretmühle, in der das Korn gemahlen wurde. In diese Tretmühle wurden damals Menschen eingespannt, die zum Beispiel wegen Landstreicherei zu dieser Arbeit verurteilt worden waren. Doch diese Torturen und Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht sind zum Glück längst Geschichte.

Seit den Anfängen stationärer Krankenversorgung in Hamburg hat sich viel getan. Heute gibt es in der Hansestadt 35 Kliniken mit mehr als 12.000 Betten sowie 4920 Ärzte und Psychotherapeuten für die ambulante Versorgung von Kassenpatienten.