Hamburg. In Zeiten der Digitalisierung ist bei Familien der Wunsch nach Entschleunigung groß. Davon profitiert auch Eggertspiele aus Hamburg.

Peter Eggerts erster Versuch, spielerisch Geld zu verdienen, geriet zum Desaster: 150 Exemplare des von ihm selbst konzipierten Spiels „Duhner Wattrennen“ hatte er anfertigen lassen, um sie beim gleichnamigen Trabrennen in Cuxhaven an Zuschauer zu verkaufen. „Ich habe genau eins verkauft“, sagt Eggert schmunzelnd. In der festen Überzeugung, auf dem Rückweg nur Geld transportieren zu müssen, hatte er auch noch den VW-Bus gleich wieder nach Hamburg zurückgeschickt, der die Spielekartons an die Rennstrecke geliefert hatte. Eggert hatte nicht nur nichts abgesetzt, sondern musste auch noch den Rücktransport der unverkauften Ware organisieren. „Es war ein typischer Anfängerfehler, zu glauben, Pferderennfans würden sich für ein Pferderennspiel interessieren“, sagt der 57-Jährige. Einige Wochen später, bei der alljährlichen Spielemesse in Essen, lief es dann deutlich besser für den Hobby-Jungverleger. Am Ende der Messe war das „Duhner Wattrennen“ ausverkauft.

Die Episode liegt 20 Jahre zurück, und Peter Eggert fällt es auch deshalb leicht, von seinem Scheitern zu erzählen, weil er und sein Neffe und Geschäftspartner Philipp El Alaoui (39) seitdem sehr viel richtig gemacht haben. Was Mitte der 1990er-Jahre als Versuch begann, mit dem Hobby Spieleerfinden nebenbei ein bisschen Geld zu verdienen, hat sich zu einem in der Brettspiel-Gemeinde viel beachteten Unternehmen entwickelt, das pro Jahr zwischen 200.000 und 250.000 Spiele verkauft. „Wir sind ein mittelgroßer Verlag und gehören zu den Top-fünf-Anbietern für Vielspieler“, sagt El Alaoui.

Auszeichnung „Spiel des Jahres“ erhalten

Seit zehn Jahren ist sein Onkel ausschließlich Verleger, 2014 hatte Eggertspiele seinen bislang größten Erfolg: Mit „Camel up“ brachte das Unternehmen einen absoluten Kassenschlager auf den Markt. Das verrückte Kamelrennen – so der Untertitel – wurde zum Spiel des Jahres gekürt – und verkauft sich weiter glänzend. Inklusive einer Erweiterungsversion und eines Kartenspiels, die von dem Familienspiel inzwischen auf dem Markt sind, könnte durchaus die Marke von einer Million Spiele erreicht werden, sagt Eggert. Für gewöhnlich gelten im Unternehmen schon 10.000 verkaufte Exemplare als Erfolg.

„Camel up“ ist einer der seltenen Megaseller, doch Eggertspiele profitiert auch von einem insgesamt stark wachsenden Markt. Deutsche Verlage und Hersteller von Brettspielen und anderen klassischen Gesellschaftsspielen sind auf deutlichem Wachstumskurs. Große Firmen wie Ravensburger, Noris und Kosmos berichten von einem Umsatzplus im hohen einstelligen oder niedrigen zweistelligen Prozentbereich. Der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie (DVSI), in dem die großen Unternehmen der Branche organisiert sind, meldet gut zehn Prozent Umsatzzuwachs im vergangenen Jahr. „Die Brettspielbranche entwickelt sich trotz aller Apps und Computerspiele seit Jahren sehr gut“, heißt es dort.

Die zunehmende Digitalisierung, der Trend zu elektronischen Spielen, tut dem Erfolg der klassischen Brettspiele, die in der Familie oder gemeinsam mit Freunden am Tisch gespielt werden, keinen Abbruch. Nach Angaben von Ravensburger-Chef Karsten Schmidt ist der Markt für klassische Spiele in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren von 2,6 auf drei Milliarden Euro pro Jahr gewachsen und damit sogar stärker als der Videospiele-Markt mit einer Steigerung von 2,6 auf 2,8 Milliarden Euro. „Wir haben die schöne Situation, dass das Digitale aufgekommen und gewachsen ist, aber das Klassische nicht kannibalisiert hat“, sagt Schmidt.

Die großen Anbieter sehen den Erfolg der Brettspiele auch als einen Ausdruck des Wunsches nach Entschleunigung und nach gemeinsamem, spielerischem Erlebnis in einer zunehmend komplizierten und individualisierten Welt. Spiele zum Anfassen seien dafür besser geeignet als digitale Spiele, sagt Noris-Chef Oswald Hertlein. Eltern versuchten, ihre Kinder vom Tablet-Computer wegzulocken und stattdessen deren soziale Fähigkeiten bei Gesellschaftsspielen zu stärken.

Export ins Ausland

Bei Eggertspiele spielt die Digitalisierung keine ganz große Rolle. Es gibt zwar eine „Camel up“-App und auch eine für das Bergwerksspiel „Glück auf“, doch Peter Eggert sagt: „Nur wenige unserer Spiele sind geeignet für eine elektronische Version.“ Die Firmenchefs konzentrieren sich bislang noch auf Taktik- und Strategiespiele für die Zielgruppe der Vielspieler, eine Gemeinde von Enthusiasten, die nicht selten mehrere Hundert Spiele im Regal hat. Philipp El Alaoui hat auf seinem Smartphone ein Video von der jüngsten Essener Messe. Der Film zeigt Besucher dicht gedrängt in mehreren Reihen vor der Absperrung des Eggert-Standes. Bilder wie früher beim Sommerschlussverkauf. Als die Sperrbänder gelöst werden, stürmt das Publikum die vorbereiteten Tische, um die neuen Brettspiele auszuprobieren.

Mal geht es darum, Rinderherden durch den Wilden Westen zu treiben, mal darum, Tiere an Bord einer Arche zu bringen oder auf Kuba erfolgreich mit Rum zu handeln. Egal welches Thema, für jedes Eggert-Spiel gelten die Grundsätze: Das pure Glück darf nicht entscheidend sein, und jeder Mitspieler ist bis zum Ende dabei. Zwar gibt es einen Sieger, doch nie ist es Ziel, die anderen Spieler komplett auszuschalten.

„German games“ lautet der international gebräuchliche Fachbegriff für diese Art von Spielen, sie sind ein Exportschlager, und Eggertspiele mit Sitz in den ehemaligen Räumen eines Beerdigungsinstituts an der Friedhofstraße in Eißendorf ist ein vorwiegend international tätiges Unternehmen. „40 Prozent des Umsatzes machen wir in Deutschland, 60 Prozent im Ausland. Die USA sind unser zweitwichtigster Markt, dicht gefolgt von Frankreich“, sagt Eggert. Im Frühjahr hat er mit einem großen Spielevertrieb in den Vereinigten Staaten einen Exklusivvertrag abgeschlossen. Die Amerikaner schalteten so eine Handvoll Konkurrenten im eigenen Land aus. Der Vorteil für Eggert: Sein Exklusivpartner darf nicht nur, er muss jedes Eggert-Spiel in den USA auf den Markt bringen. Mit „Camel up“ sind Eggertspiele und seine nationalen Partner in 30 Ländern auf dem Markt.

Fünf Vollzeitkräfte kümmern sich um das Kerngeschäft

Zu bewältigen ist das mit fünf Vollzeitstellen nur, weil die Firma sich auf das Kerngeschäft eines Verlages konzen­triert und viele Bereiche von jeher anderen Unternehmen überlässt: Produziert werden die Spiele bei einem großen Hersteller in Bayern, den Vertrieb in Deutschland organisiert die Firma Pegasus, im Ausland sind es die jeweiligen Partner. Mit genauen Angaben zum Umsatz und Ergebnis sind die Geschäftsführer zurückhaltend. „Eine Handvoll Euro pro verkauftem Spiel“ blieben dem Verlag, sagt Eggert. Im Geschäft kostet ein Spiel 25 bis 40 Euro.

Was Peter Eggert, Philipp El Alaoui und die beiden angestellten Spieleredakteure tun, ist der Arbeit eines Buchverlags sehr ähnlich: Die Ideen von Autoren auf die Marktchancen prüfen, Prototypen mit Grafikern und Gestaltern zu marktreifen Produkten weiterentwickeln, bei Spieleabenden und Autorentreffen immer wieder testen. „Etwa 250 bis 300 Spielideen“, würden ihm pro Jahr angeboten, schätzt Eggert, etwa 50 davon schaut er sich näher an, doch nur vier bis sechs kommen tatsächlich auf den Markt. Insgesamt hat der Verlag derzeit um die 20 Spiele im Programm. „Inzwischen wissen wir ziemlich genau, was auf dem Markt funktioniert und was nicht“, sagt Philipp El Alaoui. Was Misserfolge nicht ausschließt. Das Eggert-Pferderennspiel „Change Horses“ lag wie Blei in den Regalen. „Die unverkauften Exemplare haben wir schließlich schreddern lassen“, sagt El Alaoui. Bei „Camel up“ mussten die beiden Verleger zwar nicht lange überlegen, trotzdem hatten sie auch Glück: Autor Steffen Bogen hatte das Spiel vorher anderen Verlagen angeboten – erfolglos.

Eigene Ideen für neue Spiele haben die Verleger durchaus. So kreisen seit einer Schottlandreise die Gedanken um das Thema Whisky. Doch daraus ein Spiel zu machen, dafür fehle mittlerweile schlicht die Zeit. „Peter darf gern mal wieder ein Spiel entwickeln, aber bitte in der Freizeit“, sagt sein Neffe lachend.

An die Zeiten, als der Spieleverleger auch Spieleautor war, erinnern die Kartons von früher. Das „Duhner Wattrennen“ steht etwas weiter hinten im Regal. Peter Eggert hat sein eigenes Spiel vor einigen Jahren auf einem Flohmarkt zurückgekauft. Denn als die 149 in Duhnen übrig gebliebenen „Wattrennen“ nach vier Messetagen in Essen ausverkauft waren, hatte er schlicht vergessen, eines für sich selbst zu behalten. „Noch so ein Anfängerfehler“, sagt er.