Hamburg. Krawallnacht in Hamburg: Nach Kämpfen von Salafisten und Kurden wurde vor allem wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch ermittelt.

Solche martialischen Szenen hätten sich auch am 1. Mai im Schanzenviertel abspielen können: Blutende Menschen mit schmerzverzerrten Gesichtern, Polizisten, die mit Steinen angegriffen werden, Fenster, die klirrend zerbersten, Wasserwerfer im Einsatz. Doch nicht Linksextreme, sondern Salafisten und Kurden lieferten sich vor acht Monaten mitten in Hamburg einen beispiellos brutalen Straßenkampf. Der Mob nutzte praktisch alles, was er in die Finger bekam: Flaschen, Messer, Steine, sogar Macheten, Zimmerhammer, Fleischerhaken, Radkreuze, Besenstiele, Gardinenstangen und Dönerspieße. Die Ausschreitungen trafen den Vorzeige-Multi-Kulti-Stadtteil St. Georg in der Nacht zum 8. Oktober 2014 völlig unvorbereitet.

Insgesamt 62 Ermittlungsverfahren, davon 31 gegen polizeibekannte Täter, hat die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Krawallen geführt, die meisten sind abgeschlossen, die kleineren Delikte per Strafbefehl erledigt. Die übrigen beschäftigen noch die Amts- und Jugendgerichte, einige Urteile gibt es auch schon. Vorwiegend sind es Delikte wie Sachbeschädigung, Körperverletzung, Haus- und Landfriedensbruch, Widerstandshandlungen und Verstöße gegen das Waffengesetz, die den Beschuldigten zur Last gelegt werden. Die Krawallnacht von St. Georg sorgte zudem dafür, dass der Hamburgische Verfassungsschutz bei der Zahl der Fälle im Bereich „politisch motivierte Kriminalität mit Auslandsbezug“ für 2014 einen neuen Höchststand verzeichnet. Wie die Polizei geht der Nachrichtendienst davon aus, dass wechselseitige Provokationen zwischen den verfeindeten Gruppen die Ausschreitungen verursacht haben – Belege für eine Vorbereitung „von langer Hand“ gebe es nicht, sagt Amtssprecher Marco Haase. Dass die Salafisten öffentlich derart gewalttätig aufgetreten sind, ein Novum in Hamburg, hat dem Amt schon wertvolle Erkenntnisse geliefert: „Die Salafisten treten in der Öffentlichkeit seit einigen Jahren deutlich offensiver und selbstbewusster auf“, sagt Haase. „Das zeigt sich zum Beispiel an öffentlichen Kundgebungen wie solchen von Pierre Vogel, der mit seinen Missionierungsplänen in Hamburg gescheitert ist. Das zeigt sich auch an den gewaltsamen Ausschreitungen, die es in Nordrhein-Westfalen und am Steindamm gab. Vorher hatten Salafisten solche Konfrontationen vermieden.“

Die Situation im Oktober – der IS rückte gerade in der nordsyrischen Kurden-Enklave Kobane ein – emotionalisierte Kurden und Salafisten gleichermaßen. Eine Schlägerei vor einem türkischen Imbiss soll den Konflikt bereits am Tag vor den Krawallen angefacht haben. Was genau in der Nacht zum 8. Oktober passiert, ist unklar: Angeblich wollen am frühen Abend IS-Anhänger den kurdischen Verein am Steindamm stürmen. Anderen Angaben zufolge marschieren 75 Kurden, Parolen skandierend, zur Al-Nour-Moschee, vor der sich zunächst rund 50 Salafisten aufhalten. Über Netzwerke wie Facebook und Twitter organisieren beide Lager so lange Verstärkung, bis sich je 400 Sympathisanten gegenüberstehen. Die linke Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir steht nur wenige Meter entfernt, als beide Gruppen aufeinander losgehen. Die Polizei habe viel zu spät eingegriffen, sagt sie. Die Polizei bestreitet das.

Steine fliegen, Menschen prügeln mit Metallstangen aufeinander ein, Messer werden gezückt. 30 teils bewaffnete Salafisten dringen in die Moschee ein, wo 50 Muslime gerade beten. Verbal hätten die Eindringlinge sogar den Imam attackiert, erinnert sich der Vorsitzende der islamischen Gemeinde der Al-Nour-Moschee, Daniel Abhin. Niemand will die Salafisten hier haben, doch die Polizei lässt sie nicht aus der Moschee – zum Ärger der Gläubigen.

Am Ende rücken Wasserwerfer vor. Mindestens 14 Menschen werden verletzt, vier von ihnen durch Messerstiche schwer. In der nächsten Nacht und vor dem Freitagsgebet, das von 2000 Beamten abgesichert wird, bleibt die Lage angespannt: Erneut beschlagnahmt die Polizei etliche Stich- und Schlagwaffen, darunter etwa eine mit Nägeln bewehrte Holzlatte. Insgesamt werden bis zum 10. Oktober 20 Personen verletzt und 50 festgenommen.

Die Randale sorgt quer durch alle Parteien für Entsetzen – auch auf Bundesebene, die CDU fordert ein „hartes Durchgreifen der Justiz“. Strafrechtlich hat die Randale für einen Teil der Beschuldigten bereits Konsequenzen. Etwa für den 30-Jährigen, den die Polizei mit einer Machete und fünf Patronen aufgegriffen hat. Der Kurde wurde im Februar wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Geldstrafe von 1800 Euro rechtskräftig verurteilt.

Cansu Özdemir berichtet von zwei weiteren Vorfällen im Zusammenhang mit dem IS-Terror. Gut einen Monat nach den Krawallen seien in Billstedt und am Steindamm zwei Männer von Salafisten verletzt worden. Die Polizei hatte nach den Krawallen „Gefährderansprachen“ durchgeführt, eine Art verbaler Warnschuss für Rädelsführer der Szene. Zudem sprachen Islamwissenschaftler der polizeilichen Staatsschutzabteilung mit „Entscheidungsträgern“. In St. Georg habe sich die Situation wieder entspannt, sagt Daniel Abhin. Er hatte damals von islamischen Hooligans gesprochen und tut es noch heute. „Da hatten Personen Interesse an Krawall und die haben die Euphorie der Jugendlichen ausgenutzt.“ Inzwischen sei es so, wie es seit 30 Jahren in St. Georg gang und gebe sei: alle Muslime lebten miteinander. In Frieden.