Moskau. Erst vor zwei Wochen sprach der Oppositionelle über Drohungen gegen ihn. Putin verspricht der Mutter des Kritikers die Aufklärung des Mordes.

Der ermordete Kreml-Kritiker Boris Nemzow hat sich wegen seines Einsatzes gegen die russische Regierung bedroht gefühlt. Vor allem seine Mutter mache sich große Sorgen um seine Sicherheit, sagte Nemzow vor zwei Wochen in einem Gespräch mit der Wochenzeitung "Sobesednik". "Immer wenn ich sie anrufe, fragt sie mich: 'Wann wirst du aufhören, (Russlands Präsidenten Wladimir) Putin zu kritisieren? Er wird dich töten'."

Auf die Frage, ob er um sein Leben fürchte, antwortete Nemzow: "Ja, ein bisschen." Die Angst vor der Rache des russischen Präsidenten sei aber nicht so groß, dass sie ihn davon abhalten könne, weiter gegen die Regierung zu kämpfen. "Ich hoffe, dass trotz allem der gesunde Menschenverstand obsiegt und Putin Sie nicht töten wird", scherzte der "Sobesednik"-Journalist. "So Gott will. Ich hoffe es auch", antwortete Nemzow.

Putin verspricht Aufklärung

Nach der Ermordung des prominenten Kreml-Kritikers Boris Nemzow hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine Bestrafung der Täter zugesichert. „Es wird alles getan, damit die Organisatoren und Täter dieses hinterhältigen und zynischen Mordes die Strafe bekommen, die sie verdienen“, schrieb Putin in einem am Sonnabend auf der Website des Kreml veröffentlichten Telegramm an Nemzows Mutter Dina Eidman.

Weiter schreib Putin, Nemzows Tod sei ein unwiederbringlicher Verlust. Der Politiker habe „die Geschichte, das politische und öffentliche Leben Russlands geprägt“. Er habe „immer direkt und ehrlich seine Meinung vertreten“. Ministerpräsident Dmitri Medwedew würdigte Nemzow als „Mensch mit Prinzipien“, der „offen und beständig“ für seine Sicht eingetreten sei.

Unterdessen besuchten zahlreiche EU-Diplomaten den Tatort in Moskau. Unter ihnen war auch der deutsche Rüdiger Freiherr von Fritsch. „Dieser hinterhältige und kaltblütige Mord schadet Russland“, sagte von Fritsch am Sonnabend der Deutschen Presse-Agentur.

Der 55-jährige frühere Vize-Regierungschef Nemzow war am Freitagabend im Herzen von Moskau auf offener Straße aus einem Auto heraus erschossen worden. Nemzow war einer der prominentesten Kritiker Putins. Die Tat erschütterte die russische Hauptstadt, noch in der Nacht legten zahlreiche Moskauer Blumen an der Brücke nieder. Auch international löste der gewaltsame Tod des Oppositionellen Bestürzung aus. Die Opposition kündigte für Sonntag einen Gedenkmarsch an, der von der Stadtverwaltung genehmigt wurde. Bis zu 50.000 Demonstranten dürfen daran teilnehmen.

US-Präsident Barack Obama verurteilte den Mord und forderte die russische Regierungen zu transparenten Ermittlungen auf. Aus dem Kreml verlautete, Präsident Wladimir Putin betrachte die Bluttat als krasse Provokation.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerten sich bestürzt über die Ermordung Nemzows. Merkel forderte Russlands Präsident Wladimir Putin am Samstag auf, zu gewährleisten, dass der Mord aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen würden. Steinmeier erklärte, er sei „schockiert von der kaltblütigen Ermordung“ Nemzows. Dieser habe sich gegen Korruption und Willkür gestellt, auch wenn seine eigene Freiheit darunter gelitten habe. Mit seiner Ermordung werde „einer furchtlosen Stimme ein jähes und feiges Ende gesetzt“. Die Urheber des Anschlags müssten in einem rechtsstaatlichen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden.

Zum schärfsten Kritiker Putins avanciert

Nemzow war in den 1990er Jahren stellvertretender Regierungschef und galt als möglicher Nachfolger von Boris Jelzin, dem ersten gewählten Präsidenten Russlands. Nach der Wahl Putins im Jahr 2000 avancierte Nemzow zu einem der schärfsten Kritiker des Kremlchefs. Vor allem prangerte er die Ineffizienz der Regierung und die grassierende Korruption in den Behörden an.

Auch als entschiedener Kritiker der russischen Rolle in der Ukraine hatte sich Nemzow profiliert. Erst wenige Stunden vor seinem Tod warf der Dissident Putin in einem Interview vor, Russland mit seiner „verrückten, aggressiven und tödlichen Politik des Krieges gegen die Ukraine“ in die Krise gestürzt zu haben. „Das Land braucht eine politische Reform“, sagte Nemzow dem Radiosender Echo Moskwi. „Wenn die Macht in den Händen einer Person konzentriert ist und diese Person für immer regiert, dann führt das in die absolute Katastrophe.“

Der Oppositionsaktivist Ilja Jaschin berichtete dem gleichen Sender, zuletzt habe Nemzow an einem Report gearbeitet, der eine direkte russische Verwicklung in den Separatistenaufstand in der Ostukraine belegen sollte. Dies habe ihm der Politiker zwei Tage vor seinem Tod mitgeteilt.

Die Sprecherin des Innenministeriums, Jelena Alexejewa, sagte am Tatort, Nemzow sei mit einer Bekannten aus der Ukraine unterwegs gewesen, als ein Wagen vorgefahren und unbekannte Insassen ihm in den Rücken geschossen hätten. Die Frau blieb unverletzt.

Ranghöchste Beamte ermitteln in dem Fall

Mit der Untersuchung im Mordfall Nemzow betraute Putin laut dem Kreml die ranghöchsten Beamten der Ermittlungsbehörden. Der Präsident habe angemerkt, dass dessen Tötung die Handschrift eines Auftragsmords trage, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow.

Nemzows Anwalt Wadim Prochorow erklärte, dass sein Mandant die gegen ihn gerichteten Drohungen bei der Polizei angezeigt habe, die Behörden jedoch nichts für dessen Schutz unternommen hätten.

Oppositionsaktivist Jaschin erklärte, er habe keinen Zweifel daran, dass der Mord an Nemzow politisch motiviert sei. Dieser habe als schillernder Oppositionsführer die wichtigsten Regierungsvertreter im Land kritisiert, darunter Präsident Putin. „Wie wir gesehen haben, ist solche Kritik in Russland gefährlich für Leib und Leben“, fügte Jaschin hinzu.

Der politische Analyst Stanislaw Belkowski sagte Echo Moswki indes, er glaube nicht, das Nemzows Tod in irgendeiner Weise den Interessen Putins diene. „Doch hat womöglich die Atmosphäre des Hasses gegenüber alternativen Denkern, die sich im letzten Jahr seit der Annexion der Krim formiert hat, eine Rolle gespielt“, vermutete er.

Auch Poroschenko bestürzt

Nemzow war einer der Organisatoren des für den (morgigen) Sonntag geplanten Frühlingsmarsches der Opposition. Die Großkundgebung fällt in eine Zeit eines schweren Wirtschaftseinbruchs in Russland, der auf den Ölpreisverfall und die westlichen Sanktionen wegen der russischen Rolle in der Ukraine-Krise zurückzuführen ist.

Der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko zeigte sich bestürzt über den Tod Nemzows. Dieser sei ein enger Freund und eine „Brücke“ zwischen den beiden Ländern gewesen, schrieb Poroschenko auf seiner Facebook-Seite. Er hoffe, dass die Mörder bestraft würden.