Von JAN-ERIC LINDNER

Kadiriyes Lachen ist hell, frech und ansteckend. "Kaddi" ist ein fröhliches Mädchen von neun Jahren. Ein Mädchen, das 22 Stunden am Tag hinter einer Maske verbringen muss, das kein Sonnenlicht abbekommen darf und das Tag für Tag Schmerzen leidet. Sie ist so tapfer, dass selbst ihre Eltern sich darüber manchmal wundern.

Kadiriye ist das Mädchen, das am 16. Dezember 1999 bei einem Krippenspiel in der Grundschule Bendestorf (Nordheide), als Lämmchen verkleidet, Feuer fing und dem das Kostüm an der Haut des Gesichtes, des Oberkörpers und der Arme festbrannte (das Abendblatt berichtete). Seit diesem Nachmittag, an dem Eltern, Lehrer und Schüler sich gemeinsam auf das Fest der Lichter und des Friedens einstimmen wollten, geht es im Leben der Familie Altincioglu nur noch selten besinnlich zu. Kadiriyes dreiwöchigem Koma und der Lebensgefahr folgte ein Therapie-Marathon, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Zeitweise war sie auf 18 Kilo abgemagert. Mutter Hülya fährt die Kleine täglich 150 Kilometer von Ärzten zu Psychologen, zur Physiotherapie.

Tapfer erträgt das Kind die Silikonmaske, die ihr vernarbtes Gewebe im Gesicht zusammendrückt. Sie soll verhindern, dass sich wulstige Narben bilden. An den Armen hat die Haut noch ein Gittermuster von dem Gewebe, das aus dem Bein entnommen, und hierher transplantiert wurde. Im kommenden Jahr stehen sechs große Laser-Operationen an, zwei Transplantationen hat die Neunjährige nach den ersten Noteingriffen bereits über sich ergehen lassen.

Die Hände hat Kadiriye mit viel Training wieder so weit, dass sie beweglich genug zum Klavierspielen sind. "Ich habe den Händen gesagt, dass sie jetzt endlich wieder gehorchen müssen", sagt das Mädchen. Nicht nur Kadiriye, auch Mutter Hülya (32), Vater Cesarettin (41) und der kleine Bruder Kadir (8) werden die Bilder nicht los von diesem 16. Dezember '99, an dem aus dem festlich verkleideten, wunderhübschen Kind plötzlich eine lebende Fackel wurde. Narben hinterließ der Unfall auch auf der Seele, bei allen in der Familie. "Manchmal im Auto schaue ich in den Rückspiegel und erschrecke, wenn ich mein Kind sehe", sagt Hülya Altincioglu, die bis zum Unfall Bankangestellte war.

Vater Cesarettin erinnert sich an die Tage nach dem Unglück: "Es war, als fahre man mit Tempo 100 und offenen Augen gegen eine Mauer. Vom einen zum anderen Moment ist das normale Leben kaputt." Kadiriye selbst erlebte die quälend langen Minuten, die vergingen, nachdem ihr Kostüm Feuer fing, bewusst mit. Seitdem sind es vor allem jede Art von Feuer und die Nächte, die die Erinnerung an Schmerz und Hilflosigkeit zurückbringen. Die Mutter schläft nachts mit in "Kaddis" Zimmer: "Oft fiebert sie wie in Trance, träumt, das sie wieder brennt. Dann verkrampft sich ihr Körper, so wie damals als die Flammen da waren."

Tagsüber bestimmen die vielen Creme-Einheiten und Massagen den Tagesablauf. Mit viel Druck reibt die Mutter ihrem Kind die Narben, damit sie nicht verhärten. Die Schmerzen sind für die Kleine kaum auszuhalten. "Ich muss es tun", sagt sich Hülya dann, die selbst vom Kampf um Hilfsmittel am Ende ihrer Kräfte ist. Die trotzdem von Herzen allen dankt, die ihrer Tochter schnell und unbürokratisch geholfen haben. Die Ärzte gehen davon aus, dass die Narben im Gesicht im Laufe der Jahre immer kleiner werden. Ganz verschwinden werden die Wunden nie. Narben werden auch die Transplantationen hinterlassen - am ganzen Körper.

In der Schule, im Bett, auf der Straße, überall trägt Kadiriye ihre Maske, die jede Mimik verbirgt und durch die nur ihre großen, braunen Augen zu sehen sind. Mindestens zwei Jahre wird sie sie noch brauchen. "Natürlich glotzen die Leute manchmal bescheuert. Die können mich auch einfach fragen, warum ich die aufhabe", sagt das selbstbewusste Mädchen. "Ich würde es schon erklären." Ihre Mitschüler behandeln sie aber ganz toll, sagt Kadiriye. "Die waren ja auch alle dabei, als es passiert ist."

Wenn Kaddi, der Wirbelwind, mal Zeit hat, ihre Kelly-Family- und Britney Spears-CDs zu hören, tut sie das in ihrem Zimmer im Keller. Dorthin zog sie nach dem Unfall, denn Sonnenlicht ist schlecht für ihre Haut. Hier lernt sie auch nach den Arztbesuchen für die Schule. Als Kadiriye davon hörte, dass in Harburg schon wieder ein Junge schwer verbrannt ist, brach sie in Tränen aus. "Ich will nicht, dass noch mehr Kinder so was durchmachen wie ich. Die sollen alle gut aufpassen, Lehrer, Kindergärtner und so auch. Feuer ist ganz gefährlich." Das sagt die Neunjährige ohne einen Anflug von Selbstmitleid. Ihre Wunden werden heilen: Was die Zeit nicht schafft, schafft der Wille dieses Mädchens.

Nicht alle Kosten für die Behandlungen werden übernommen. Es gibt ein anwaltlich betreutes Spendenkonto: Vereins- und Westbank, BLZ 200 300 00, Konto: 41 32 03.