Wenn Eltern ihre Kinder zum Klavier- oder Geigen- Unterricht verdonnern, kommt selten Freude auf. Aber wie findet das Kind sein Instrument? Gibt es den “geborenen Bratscher“? Eine Suche zwischen Mythos, Erfahrung und Sympathie.

Von ANNETTE GARBRECHT

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esonders wertvoll war das Cello nicht. Aber Onkel Paul hatte darauf gespielt, bevor er, wie die Eltern sagten, im Krieg "gefallen" war. Und nun war ich von der Familie dazu ausersehen worden, sein Instrument zu spielen. Wenn denn endlich meine linke Hand groß genug sein würde, um die Tonabstände auf dem Griffbett zu erreichen. Alle paar Monate prüfte die zukünftige Cellolehrerin die Spannweite meiner gespreizten Finger. Mit zehn Jahren war ich endlich auf mein Cello zugewachsen.

Und ich bin beim Cello geblieben; ich wollte nie ein anderes Instrument lernen - der Celloklang stimmte für mich. Glück gehabt! Anders meine Freundin Marion: Mit Blockflötenunterricht fing die Qual für sie an. Dann verordnete ihre Mutter das Cembalo. Mit dreizehn wechselte Marion lustlos zur Querflöte. Und erst heute, mit 45 Jahren, weiß sie, welches Instrument wirklich ihres ist: das Schlagzeug.

Wie kommen Instrument und Spieler zusammen, wenn es keinen Onkel Paul gibt und mühevolle Umwege vermieden werden sollen? Ist es so, dass etwa bestimmte Instrumenteneigenschaften zu bestimmten Typen passen: zum Schüchternen die wisprige Triangel, zum Draufgänger das durchdringende Schlagzeug? Oder stiftet erst ein Urerlebnis eine Instrumenten-Ehe, eine Art Liebe auf den ersten Ton?

So eine hat Jens Plücker, Hornist der Hamburger Symphoniker, erlebt: "Mit neun hörte ich in einem Konzert des Schulorchesters einen Satz von einem Mozart-Hornkonzert. Da habe ich mich zu meinen Eltern umgedreht und gesagt: Das möchte ich gerne lernen!"

Herbeizaubern lassen sich solch emphatische Erlebnisse nicht. Aber wer sich urplötzlich vom Klang eines Instruments anrühren lässt, findet oft im nachhinein eine Erklärung dafür. So kann die Klangfärbung vielleicht an die Stimme der Mutter oder eines anderen nahen Menschen erinnern. Oder ein Spieler kann zu Bewunderung und Identifikation einladen. Die Geigenlehrerin Dorothea Maynberg hörte als kleines Mädchen kurz nach dem Tod ihres Vaters einen Freund der Familie Geige spielen. Dieser Geigenklang trug für sie fortan eine Verheißung von Geborgenheit in einer vollständigen Familie in sich.

Für den Cellisten Pablo Casals verschmelzen in der Erinnerung an sein erstes Celloerlebnis Instrument und Spieler miteinander; der klein gewachsene Mann projiziert Männlichkeit und Stattlichkeit auf das Instrument: "Der Cellist war Joseph Garcia . . . ein schöner Mann mit hoher Stirn und einem ,Es-ist-erreicht'-Schnurrbart. Seine Gestalt passte irgendwie zu seinem Instrument . . . Nie zuvor hatte ich einen solch schönen Ton vernommen. Glanz erfüllte mich."

Die wenigsten Musiker allerdings wissen von solcher Verzauberung zu berichten. Die Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin Karin Nohr hat aus 41 Biografien bekannter Instrumentalisten herausgelesen, dass weit mehr als die Hälfte ihr jeweiliges Instrument schlicht von den Eltern übernommen hat.

"Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, Geige zu spielen", sagt der Violonist Nathan Milstein. "Meine Mutter nahm mir die Entscheidung ab."

Ein heikler Auftakt für eine Instrumenten-Beziehung! Denn der Ehrgeiz der Eltern, ob sie aktive Musiker sind oder nicht, kann zerstörerisch wirken. So hörte die russische Dichterin Marina Zwetajewa nach dem Tod ihrer strengen Mutter ganz mit dem Klavierspielen auf - erschöpft von dem Gefühl einer ständigen Konkurrenz mit der musizierenden Mutter.

Der Bratscher William Primrose entzog sich dem väterlichen Diktat, indem er von der Geige auf die Bratsche umstieg - und schleppte so zeitlebens das Gefühl mit sich, sie sei das zweitklassige Instrument.

Das war noch vor der Zeit der beliebten Bratscherwitze, wie sie inzwischen im Internet zu Hunderten nachzulesen sind. Sie zielen alle darauf, Bratscher zu musikalischen Deppen zu erklären nach dem Muster: "Was macht der erste Bratscher, wenn er sich den rechten Arm gebrochen hat? Er wechselt ans letzte Pult." Diese Art Instrumentenpsychologie hat der Autor Patrick Süskind in seinem Stück "Der Kontrabass" karikierend auf die Spitze getrieben: "Als Kontrabassist im Staatsorchester, drittes Pult. Als solcher vergewaltige ich täglich in Gestalt des Kontrabasses, des größten der weiblichen Instrumente - formmäßig jetzt - meine eigene Mutter . . . und diese moralische Katastrophe steht jedem von uns Bassisten ins Gesicht geschrieben."

Sicher gibt es nicht in diesem Sinne den Bassisten-, den Querflöten-, den Gitarre-Typen, auch wenn das heitere Instrumente-Raten ein beliebtes Gesellschaftsspiel unter Musikern ist. Denn bestimmte Spielereigenschaften eignen sich vielleicht wirklich gut zu der Rolle, die ein Instrument im Ensemble eines Orchesters oder einer Band spielt.

"Wenn ein Kind die E-Saite seiner Geige immer nur als quietschig empfindet, sollte es vielleicht zum Cello überwechseln."

Die Geigenlehrerin und Musiktherapeutin Franziska Dirmhirn ordnet dem "eher coolen, nervenstarken Kind" ein Blasinstrument zu, das präsenten solistischen Einsatz im Orchester erfordert. Der eher introvertierte Typ sei gut mit einem tiefen Streichinstrument beraten, das dominant und tragend ist, sich aber weitgehend im Hintergrund hält. Wer sich gerne darstellt, Lust an Überlegenheit und Aktivität spürt, sei eher für die Geige geeignet. "Aber wenn ein Kind die E-Saite seiner Geige immer nur als quietschig empfindet, sollte es vielleicht zum Cello überwechseln", sagt sie. Ob die Geige "passt", erkennt sie auch daran, ob ein Kind Ehrgeiz darin entwickelt, "schöne Töne" aus dem Instrument herauszuholen.

"Das Cello ist mir zu dunkel und zu dick", sagt der neunjährige Jonas. Drei Wochen lang hat er im Rahmen des so genannten "Instrumentenkarussells" am Hamburger Konservatorium auf dem Cello gestrichen, die Saiten gezupft, sogar kleine Lieder auf den leeren Saiten gespielt. Dann kamen Querflöte, Klavier und Gitarre dran. Für ihn steht jetzt fest: "Gitarre will ich lernen."

Viele Jugendmusikschulen in Deutschland bieten inzwischen solche Schnupper-Kurse an, in denen Kinder Instrumente ausprobieren können. An der staatlichen Jugendmusikschule in Hamburg dreht sich das Instrumentenkarussell "Ikarus" ein Jahr lang; alle sechs bis sieben Wochen steigen die Kinder im Alter von acht bis zehn Jahren auf ein neues Instrument um.

Am Konservatorium dagegen dauert der Kurs nur ein halbes Jahr. Angeboten werden entweder Gitarre, Klavier, Querflöte, Violine und Violoncello oder, in einem zweiten Kurs: Akkordeon, Gitarre, Mandoline, Querflöte und Violine. Im nächsten Jahr soll sich das Karussell dann auch für Erwachsene drehen.

Die Kinder dürfen das jeweilige Leihinstrument mit nach Hause nehmen, "und wenn sie dann mit ihrem Cello über der Schulter abdampfen, ist das ganz klasse für sie", sagt die Klavierlehrerin Katharina Diekmann, die das Instrumentenkarussell vor drei Jahren mit konzipiert hat; die letzte Runde ist ein Abschlusskonzert. Bis dahin hat sich die Hälfte der Kinder für ein Instrument entschieden - selbstständig oder mit sanfter Hilfe der Musikpädagogen. "Und einige wissen dann, dass sie überhaupt kein Instrument spielen wollen, weil sie nämlich keine Lust zum Üben haben", sagt Katharina Diekmann.

O ja, auch diese Erinnerung ist mit Onkel Pauls Cello verbunden: "Es ist sechs Uhr, du musst üben!" Jeden Tag mahnte die Mutter zu der halben Stunde. An manchen Tagen, wenn die Finger sich auf dem Griffbrett nur verknoteten, wenn das Cello klang, als sägte ich auf einer Seifenkiste herum, packte ich es mit beiden Händen an den Zargen und rammte es voller Wut mit dem Stachel in den Boden. Aber nie zu heftig. Denn ich wusste immer: Ich brauchte es noch.