Ein angesehener Professor für Augenmedizin an Londons Harley Street schwärmt heute noch von seinem talentierten Studenten aus Damaskus. "Er hatte eine bemerkenswerte Auffassungsgabe, war clever und hat erstaunlich schnell gelernt." Baschar al-Assad war nicht irgendwer. Er war der zweitälteste Sohn von Syriens Machthaber Hafis el-Assad und wollte nur eines, ein guter Augenarzt werden und ein normales Leben führen. "Die Qualitäten dazu, ein erstklassiger Arzt zu werden, hatte er", erinnert sich sein ehemaliger Lehrer. Dazu wird es nie kommen.

Denn Dr. Baschar, wie der gelegentlich etwas schlaksig wirkende Junggeselle in der arabischen Welt genannt wird, musste schon vor Jahren seine Berufsträume an den Nagel hängen und ist nun dabei, etwas anderes zu werden: Staatspräsident von Syrien und Nachfolger seines überraschend verstorbenen Vaters. Nun muss der 1,85 Meter große, oft schüchtern-freundlich lächelnde 34-Jährige mit dem gepflegten Oberlippenbart und etwas abstehenden Ohren beweisen, ob er ähnliche Lernfähigkeiten auch in der Politik besitzt - und wie gut er von seinem mit allen Wassern gewaschenen Vater die hohe Kunst des politischen Überlebens in einem so brutalen Umfeld wie Syrien gelernt hat.

Den Weg in die Politik hat der neben Englisch auch fließend Französisch sprechende Präsidentensohn ungewollt eingeschlagen. Nicht er, sondern sein älterer Bruder Basil, ein Playboy-Typ mit Vollbart und sportlichen Auszeichnungen, war als Nachfolger auserkoren - zum ersten mal sollte in der arabischen Welt, wo die Regeln der Demokratie meist nur auf dem Papier existieren, eine republikanische Erbfolge stattfinden. Aber Basil war eben ein Freund von schnellen Autos, was ihn sein Leben kostete. Anfang 1994 kam er auf einer rasanten Fahrt zum Flughafen, wo er in eine Maschine nach München steigen sollte, ums Leben. Ein Zwischenfall, der Baschars Leben radikal veränderte.

Schon bei der Trauerfeier im Heimatdorf Kardaha eröffnete ihm der Vater, dass er als Nächster dran sei. Baschar war nicht begeistert, wusste aber, dass es sinnlos gewesen wäre, Widerstand zu leisten. Einem Hafis el-Assad sagt man nicht Nein - vor allem nicht, wenn man sein Sohn ist. Der diskret vorgetragene Wunsch, seine Ausbildung abzuschließen, wurde ihm nicht erfüllt. Hals über Kopf musste Baschar die Koffer packen und die Heimreise antreten. In den ersten beiden Jahren war es sehr still um ihn, kaum ein Foto war in den staatlich kontrollierten Medien zu sehen. Er musste das Abc der Politik von der Pike auf lernen, im Eiltempo absolvierte er eine militärische Ausbildung und musste immer dabei sein, wenn sein kränkelnder Vater regierte.

Schnell brachte er es zum Oberst. Doch anders als sein verunglückter Bruder, der sich oft und gerne in Kampfuniformen ablichten ließ und viel Zeit beim Training verbrachte, liebt Baschar, der einen Tag nach dem Tod seines Vaters zum General und Oberkommandierenden der Streitkräfte befördert wurde, das Zivilistenleben. Dunkle Anzüge zieht er Militäruniformen vor, unauffällig sind seine Autos. Gerüchte über ihn gibt es kaum.

"Wenn er sich mit etwas befasst, dann eben mit Leidenschaft", wissen Journalisten in Beirut. Und das hat sein Vater offenbar honoriert: Vor Jahren hatte er ihm, wenn auch inoffiziell, die Aufsicht über die Geheimdienste anvertraut, die ja das Rückgrat des Machterhalts in Syrien bilden. 1998 übernahm Baschar auch die für Syriens Außenpolitik wichtige Verantwortung für die so genannte Libanon-Akte und drängte somit den bis dahin mächtigen Vizepräsidenten Chaddam ins politisch Abseits. Im Nachbarland Libanon, wo die Syrer seit den 70er-Jahren mehr als 30 000 Soldaten und 20 000 Geheimagenten unterhalten und alle Strippen ziehen, gilt Baschar als hoch angesehener, "äußerst kompetenter und entscheidungsfreudiger Gesprächspartner", was sicherlich als Seitenhieb auf die bisherigen Entscheidungsträger in Damaskus zu werten ist.

Baschar war clever genug, diskret im Hintergrund zu handeln, politische Allianzen zu schmieden, sich mit langjährigen Weggefährten seines Vaters trotz des großen Alters- und Mentalitätsunterschiedes nicht anzulegen. Schließlich braucht er sie nun beim unerwartet schnell eingetretenen Weg an die Macht. Stattdessen konzentrierte er sich auf ein Terrain, das er gut kannte und das ihn populär machen könnte: Als Computerfreak wurde er Präsident der syrischen Computergesellschaft, ermöglichte vielen jungen Syrern den bisher aus Sicherheitsgründen verbotenen Zugang zum Internet, setzte sich für die Einrichtung eines Funktelefonnetzes in Syrien ein. "Wenn wir unsere Gesellschaft den modernen Trends nicht öffnen, werden wir später diesen Fehler bereuen", sagte er in einem Zeitungsinterview. Mit dem Slogan "Ein Computer für jede Schule" machte er sich bei Syriens recht junger Bevölkerung beliebt.

Mit altbewährten Methoden aus dem Arsenal des Personenkults zwang er allen Syrern seine Präsenz auf: In den vergangenen beiden Jahren war sein Foto neben jedem Bild seines Vaters zu sehen. Sein Gesicht sollte den Massen vertraut gemacht werden, potenzielle Widersacher, und davon gibt es jede Menge, sollten sich merken, wen Assad senior als seinen Nachfolger auserkoren hat.

In der Zwischenzeit pflegte Assad junior seine Beziehungen zur Außenwelt, wurde vom französischen Staatspräsidenten Chirac im Elyseé-Palast empfangen. Insbesondere streckte er seine Fühler zu wichtigen Politikern in allen arabischen Ländern aus. Vor allem die Vertreter der jungen Herrschergeneration, ob in der Golfregion, in Marokko oder im benachbarten Jordanien, machte er schnell zu seinen Freunden: Mit Jordaniens König Abdallah telefoniert er oft. "Eine echte Freundschaft ist entstanden, was für die Stabilität in der Region sehr wichtig ist", weiß ein Journalist in Amman. Das ist ein Novum: Denn zwischen Jordanien und Syrien hat es in den vergangenen Jahrzehnten oft gekriselt.

Mit politischen Äußerungen hielt sich Baschar immer zurück und setzte doch Akzente. So zum Beispiel in einem bemerkenswerten Interview mit der in London erscheinenden arabischen Tageszeitung "al Hayat" diesen März. "Wir brauchen einen Wechsel, dringender denn je, und zwar sofort", mahnte er an und präzisierte in einem Atemzug: "Die Verwaltung muss modernisiert, die Korruption wirksam bekämpft werden."

Solche Äußerungen waren sicherlich mit seinem Vater abgestimmt, denn kurz darauf bildete der "Löwe von Damaskus" zum ersten Mal seit 13 Jahren sein Kabinett radikal um. Der bisherige Regierungschef Zuhbi fiel in Ungnade und kam wegen Korruptionsvorwürfe ins Gefängnis, wo er sich Ende Mai das Leben nahm. Seither ist eine groß angelegte Anti-Korruptionskampagne im Gange. Dutzende von Amtsträgern sitzen hinter Gittern. Erst vergangene Woche hatten in London erscheinende arabische Blätter berichtet, auch der Kopf des nun amtierenden Vizepräsidenten Chaddam könnte rollen.

Der Vater wollte gerade das Terrain für seinen aufstrebenden Sohn freimachen. Geheimdienstchef Diba und Generalstabschef Schehabi waren pensioniert, Assads jüngerer Bruder Rifaat, der ein paar Umsturzversuche unternommen hatte, als Vizepräsident abgesetzt worden. Sogar gegen den mächtigen Verteidigungsminister Tlas wollte Assad vorgehen. Diese Woche sollte Dr. Baschar in den Parteivorstand gewählt werden. Das ist nicht mehr nötig. Nach der Herabsetzung des Wahlalters für das Präsidentenamt und seiner Ernennung zum Oberkommandierenden der Streitkräfte steht Baschars Wahl zum Nachfolger seines Vaters nichts mehr im Wege. SAD