ABENDBLATT: Herr Schües, Sie haben nach der Vorlage des Verkehrsentwicklungsplans behauptet, damit werde Hamburg schwerer Schaden zugefügt, der Verkehr gerate auf die Standspur, der Plan erschöpfe sich in der Förderung des Zu-Fuß-Gehens. Was hat Sie zu dieser doch sehr massiven Kritik veranlasst?

Schües: Ich würde vorschlagen, dass erst mal der Senator antwortet. Denn ich hab ja meine Meinung in der Silvesterrede klar gesagt.

ABENDBLATT: Also dann, Herr Wagner, Sie haben schon nach der ersten Kritik an ihrem Verkehrsentwicklungsplan erklärt, es seien immer dieselben, die was auszusetzen hätten. Die Kritiker hätten das Papier entweder nur flüchtig oder gar nicht gelesen.

Wagner: Die Stellungnahme des Industrieverbandsvorsitzenden Peter von Foerster (zugleich Vize-Präses der Handelskammer, d. Red.) ist doch ein Beweis. Entweder wird nur selektiv gelesen oder gar nicht. Ich unterstelle mal selektiv. Da wird dann zum Beispiel zur Frage, was denn Wirtschaftsverkehr ist, einfach etwas aus dem Zusammenhang gerissen und der Eindruck erweckt, dass wir jeden, der in Hamburg unterwegs ist und auch zum Beispiel mit der Bahn fahren könnte, nicht zum Wirtschaftsverkehr zählen. Tatsächlich sagen wir, Wirtschaftsverkehr ist der Güterverkehr, aber auch der Pkw-Verkehr in Ausübung des Berufes. Damit kommen wir dann für Hamburg auf einen Anteil von etwa 30 Prozent des Gesamtverkehrs.

Schües: Genau das ist der Dissens. Sie kommen auf 30 Prozent Wirtschaftsverkehr, wir aber auf 70 Prozent, der unverzichtbar ist. Wir zählen nämlich alles dazu, was Wirtschaft auslöst. Bei Herrn Wagner ist es nur der Kühlschrank, der bei Brinkmann angeliefert wird, bei uns auch der, der gekauft und abgeholt wird. Wer mit dem Auto zum Einkaufen fährt, gehört zum Wirtschaftsverkehr und nicht zum Privatverkehr. Da besteht eine fundamentale Differenz, die wir nur durch Konsens auflösen können.

ABENDBLATT: Vielleicht wäre es sinnvoll zu erfahren, was nicht zum Wirtschaftsverkehr gehört.

Schües: Es ist kein Wirtschaftsverkehr, wenn die Großmutter ihre Enkelkinder zum Kaffeetrinken besucht und einmal quer durch die Stadt fährt. Touristischer Verkehr dagegen wäre Wirtschaftsverkehr.

ABENDBLATT: Wenn ich mit meiner Familie in ein Restaurant fahre, ist das Wirtschaftsverkehr?

Schües: Das würde ich sagen, denn Sie verzehren in dem Lokal ja was, und davon leben der Wirt und seine Leute. Wenn Sie aber nur ins Grüne fahren und dort spazieren gehen, lösen Sie keinen Wirtschaftsverkehr aus. Es ist eine Fehldiagnose der Baubehörde zu glauben, dass Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung nicht synchron verlaufen. Richtig ist: Die Wirtschaft wächst nicht ohne den Verkehr und der Verkehr nicht ohne die Wirtschaft. Wenn das negiert wird, geht es schief.

ABENDBLATT: Herr Wagner, können Sie dieser Definition folgen?

Wagner: Natürlich nicht. Denn die Annahme von Herrn Schües, dass Wirtschaftswachstum gleich Verkehrszuwachs sei, ist nicht richtig. Wenn wir all das nehmen, was Umsatz auslöst, dann wäre praktisch alles Wirtschaftsverkehr. Denn auch wenn die Oma von ihren Enkeln mit dem Auto besucht wird, löst das Umsatz aus und wenn es nur die Benzinrechnung ist. Das kann man natürlich so wollen. Aber ob das hilfreich ist bei der Lösung von Verkehrsproblemen, bezweifle ich. Ich kann schließlich nicht alle Straßen breiter machen, wie es die Kammer für den Verkehr gerne hätte. Wir wollen aber um Gottes Willen die Mobilität des Bürgers nicht einschränken. Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt und weiß, wie glücklich die Menschen sind, wenn sie am Wochenende mit ihrem Auto in die Heide fahren können. Ich weiß aber auch auf der anderen Seite, wie unangenehm es sein kann, wenn die Straßen überfüllt sind. Es ist nun mal so, dass wir die Verkehrsflächen in der Stadt nicht beliebig vergrößern können. Also müssen wir uns überlegen, wie wir es hinkriegen, dass der Verkehr trotzdem fließt, zum Beispiel mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel. Und wenn man das weiß, muss man sich überlegen, ob man mit solch einer Zahl, wie die Kammer sie mit 70 Prozent Wirtschaftsverkehr ihrer Lesart angibt, überhaupt zurechtkommen kann. Das geht gar nicht. Sie werden an den Fakten scheitern.

ABENDBLATT: Was würden denn die 70 Prozent bedeuten?

Wagner: Das hieße, dass wir zum Beispiel eine Straße wie die Stresemannstraße ausbauen und verbreitern müssten. Da müssten wir mindestens die Häuser einer Straßenseite abreißen.

ABENDBLATT: Sie meinen, wenn etwas als Wirtschaftsverkehr definiert ist, muss dem alles andere untergeordnet werden?

Wagner: Genau das heißt es, wenn die Kammer Recht hätte.

Schües: Also, die Situation, die wir heute in Hamburg haben, ist 70 Prozent Wirtschaftsverkehr. Und wir sagen, dieser Verkehr wächst, weil unsere Wirtschaft wächst. Natürlich müssen wir nicht alles mit dem Auto machen, sondern Bahnen und Busse pflegen. Unsere Arbeitnehmer fahren heute schon zu 90 Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die City zur Arbeit. Ich will nicht die Stadt zementieren und noch mehr Straßen. Aber ich will das, was da ist, optimieren. Ich will zum Beispiel nicht, dass Busbuchten zurückgebaut, dass sinnlos Poller aufgestellt, dass in Hauptverkehrsstraßen Tempo 30 ist, sondern in den Wohngebieten, wo es hingehört. Dieser Verkehrsentwicklungsplan ist 1999 rausgekommen, und er beginnt eigentlich mit 1990 und soll bis 2010 gelten. Das heißt, er ist ein Papier, das zur Halbzeit rausgekommen ist und mit Prognosen schon halb überholt ist und nicht mehr mit dem Ist-Zustand übereinstimmt.Wir fühlen uns frontal angegriffen von der Baubehörde.

Wagner: Das liegt aber an Ihnen.

Schues: Das ist unser Gefühl.

Wagner: Ihre Bauchlage.

Schües: Wir werden in unseren Entfaltungsmöglichkeiten beschränkt, weil verschiedene Maßnahmen - zur Verkehrslenkung, wie es heißt - jetzt greifen müssen. In dem Papier steht nämlich auch drin, dass wir ohne die Maßnahmen wachsen würden. Weil Sie das aber offenbar nicht wollen, zwingen Sie uns dirigistische Maßnahmen auf.

ABENDBLATT: Worin liegt der Angriff konkret?

Schües: Zum Beispiel in der Reglementierung des Parkplatzangebots, der Parkgebühren, der Geschwindigkeit und sonstiger Behinderungen. Und was für mich das Allerschlimmste ist: Es wird nicht genug im Rahmen des Möglichen getan, gebaut. Aber dass jetzt ein fabelhafter Radweg an der Elbe gebaut werden soll, zeigt doch, dass Geld vorhanden ist, um die wesentlichen Sachen zu machen.

Wagner: Ich glaube, dass die Handelskammer eine Position einnimmt, die sie - was ich bedaure - ins Abseits führen wird. Es ist nicht realistisch, was sie sich dort zuammenmalt. Ich weiß nicht, ob Ihre Leute Ihnen gesagt haben, dass wir schon im Herbst 1998 an die Kammer rangetreten sind und gesagt haben, lasst uns einen Gutachter beauftragen, der den Verkehrsentwicklungsplan im Entwurf beurteilt. Das wurde gemacht, und der von Ihnen selbst vorgeschlagene Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Ansätze und Prognosen in dem Plan aktuell und zutreffend sind. Ich finde, damit sollten wir den Streit beenden.

Schües: Also, in dem Gutachten steht aber auch, dass die Straßenbaumaßnahmen in Hamburg nicht ausreichend sind. Und wenn Sie jetzt die Straßenbahn wieder einführen wollen: Wir sind der Meinung, dass damit die Straßen ebenso verengt werden, wie durch die aufgemalten Radwege. Wenn Sie ein neues öffentliches Verkehrsmittel einführen wollen, bauen Sie eine Art Magnetbahn-Ring auf Stelzen. Da können Sie dann auch die Hafencity gleich mitanschließen. Da verbrauchen Sie Luftraum aber keinen Straßenraum. Natürlich wollen wir die Straßen nicht durch die Häuser führen. Aber man könnte die Ringe 2 und 3 weitgehend kreuzungsfrei machen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir setzen uns zusammen mit unsern Mitarbeitern hin und gehen diesen ganzen Verkehrsentwicklungsplan durch, machen daraus einen Generalverkehrsplan und starten beim Jahr 2000. Nur dann können Sie nicht Ihre Maßnahmen - ich hab das polemisch Folterwerkzeuge genannt - ergreifen, um die Leute vom Autofahren wegzukriegen.

ABENDBLATT: Glauben Sie denn, dass es in der Baubehörde genug Sachverstand gibt, um den Plan in Ihrem Sinne durchzuarbeiten?

Schües: Also ich unterstelle nie mangelnden Sachverstand, das wäre überheblich. Ich will zu einem Ergebnis kommen und biete Zusammenarbeit an.

ABENDBLATT: Wo liegt denn der Grund dafür, dass der Verkehrsentwicklungsplan so ausgefallen ist, wie er jetzt vorliegt?

Schües: Weil man uns nicht gefragt hat. Das ist im stillen Kämmerlein gemacht worden. Und wenn jetzt eine Anhörung im Bürgerschaftsausschuss gemacht werden soll, halte ich das für nicht besonders gut. Dieses Papier muss vorher noch einmal überarbeitet werden. Danach kann es zur Anhörung kommen.

ABENDBLATT: Noch ist der Verkehrsentwicklungsplan nur ein Entwurf.

Schües: Aber einer, der nicht optimal ist.

ABENDBLATT: Das haben Entwürfe manchmal so an sich.

Schües: O.K. Wir können ihn ja Seite für Seite zerpflücken. Aber unser Anliegen muss auch durchkommen.

ABENDBLATT: Herr Wagner, was sagen Sie zu dem Angebot?

Wagner: Wir haben ja vorher mit der Kammer und auch mit anderen gesprochen. Aber wir können es nicht so lange tun, bis der Entwurf der Kammer passt. Im Übrigen gibt es die Umfahrung von Ortsteilen wie in Fuhlsbüttel und die Behebung von Engpässen wie beim Friedrich-Ebert-Damm.

ABENDBLATT: Hat die Kammer jetzt noch die Möglichkeit, den Entwurf zu verändern?

Wagner: Natürlich, wie jeder andere auch. Das ist doch der Sinn des Verfahrens. Bis Mitte des Jahres sind Änderungen möglich.

ABENDBLATT: Nun wissen wir aber aus den Erfahrungen, dass ein solcher Entwurf bei den herrschenden Mehrheitsverhältnissen - bis auf Marginalien - so durchgehen wird, wie er vorliegt. Der Kammer geht es aber um gravierende Änderungen.

Wagner: Dann möge die Kammer konkret werden, und dann sehen wir uns das an. Ich fürchte nur, die Kammer will eine autogerechte Stadt, und das ist nirgends machbar. Die Kammer muss sich also geistig bewegen. Ich meine, der vorgelegte Verkehrsentwicklungsplan bietet für die Abwicklung nicht nur des Wirtschaftsverkehrs gute Angebote und keine Folterwerkzeuge, wie Sie immer sagen, Herr Schües. Nennen Sie doch mal welche.

Schües: Das Schlimme ist ja, dass in Ihrem Papier leider nur Andeutungen stehen, die alles offen lassen. Sie gehen davon aus, dass wir im Jahr 2010 drei Prozent weniger Verkehr haben als 1990, was aber nur mit entsprechenden Maßnahmen erreicht werden kann. Ohne die Maßnahmen hätten wir ein Wachstum von 14 Prozent. Wir sagen, dass es sogar 20 bis 25 Prozent mehr Verkehr geben wird. Wir werden also Ihr Papier nehmen und Seite für Seite sagen, was zu streichen oder zu ersetzen ist.

Fortsetzung auf Seite 12

Fortsetzung von Seite 11

Wagner: Ich erkläre immer wieder, dass das Papier aus zwei Teilen besteht: dem Verkehrsentwicklungsplan und den Szenarien, ich nenne das den Wissenschaftsteil. Es gilt aber der Verkehrsentwicklungsplan. Und wenn immer wieder behauptet wird, es sollten Parkplätze in der City reduziert werden - das steht da nicht drin.

Schües: Es werden aber auch keine neuen gebaut.

Wagner: Entschuldigen Sie, es steht da nicht drin. Und noch was: Wir haben festgestellt, dass der Autoverkehr in der City rückläufig ist und dass zum Beispiel 80 Prozent der Pendler mit Bahnen und Bussen in die City fahren. Auch wir wollen, dass der Einzelhandel seine Umsätze macht, dass die Innenstadt lebt. Aber Sie müssen sich davon lösen, dass die Innenstadt allein deswegen attraktiv sein soll, weil man mit dem Auto vorfahren kann.

ABENDBLATT: Herr Schües, kann es sein, dass die Kammer als Interessenverband manchmal die Belange anderer Gruppen aus dem Auge verliert?

Schües: Das glaube ich nicht, weil die Kammer die Wirtschaft vertritt, und die Wirtschaft ist ja praktisch die Bevölkerung. Aber zu Herrn Wagner: Unsere Innenstadtkunden kommen hauptsächlich aus dem so genannten Speckgürtel im Umland, die müssen mit dem Auto kommen. Denen müssen wir das schmackhaft machen, damit sie nicht auf der grünen Wiese einkaufen.

ABENDBLATT: Aber wer draußen wohnt, hat oft dieselben Geschäfte direkt vor seiner Tür.

Schües: Damit bestätigen Sie meine These. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Die Firmen gehen raus, weil die City mit dem Auto so schlecht erreichbar ist.

Wagner: Das ist so nicht richtig. Selbst in Spitzenzeiten sind die Parkhäuser nicht alle besetzt.

ABENDBLATT: Herr Schües, aus welchem Holz müsste der Verkehrssenator geschnitzt sein, der Ihre Zustimmung findet?

Schües: Persönlich habe ich mit Herrn Wagner keine Probleme, er kennt die Stadt und ist ein hoch geachteter Gesprächspartner. Aber wenn ich auf die Sache komme, muss er noch stärkere Signale geben, um unsere Anliegen nicht zu behindern. Auch er lebt von unseren Steuern. Er sollte nicht Präses der Folterkammer werden, sondern Präses der Baubehörde bleiben. Ich will Herrn Senator Wagner helfen, hieraus ein Papier zu machen, das zum Wohle der Stadt beiträgt.

Aufgezeichnet von: ERNST G. SCHOLZ