Hans Heinrich Brauer und Anton Kardel sind die Einzigen und vielleicht die Letzten in einer mühseligen Zunft

Von STEFANIE BACHMANN

Rade - Von diesem Sonntag an gibt es eine neue Fährverbindung über den Nord-Ostsee-Kanal. An der 400 Meter breiten Ausweichstelle in Rade (Kreis Rendsburg-Eckernförde) wird die zwischen Rendsburg und Kiel verkehrende Fähre künftig einen kleinen Schlenker fahren und so Rade mit Schirnau am Nordufer verbinden. Fußgänger und Radfahrer können dann dreimal täglich zwischen den Naturparken Westensee und Hüttener Berge übersetzen. Initiatoren der Verbindung, die mit Musik und Gedenkstein-Enthüllung eingeweiht wird, sind die Gemeinde Rade und der Gastwirt Hans Heinrich Brauer.

Dem nützt die Fährverbindung, weil er am Schiffsanleger Rade die "Aalkate" betreibt. Im Nebenerwerb, denn schon seit 30 Jahren wirft Hans Heinrich Brauer im Nord-Ostsee-Kanal seine Netze aus. Der aus einer alteingesessenen Fischerfamilie stammende Mann und sein Kollege Anton Kardel sind die beiden einzigen Vertreter der vielleicht schon bald ausgestorbenen Kanalfischerzunft. Ein schwankender Fischbestand, der starke Schiffsverkehr und viele Sportfischer machen die Berufsfischerei im Nord-Ostsee-Kanal zu einem mühseligen Geschäft.

Hans Heinrich Brauers Haus steht nur wenige Meter vom Kanal entfernt. Am anderen Ufer lag einst der Schirnauer See, in dem schon 1725 der erste Fischer namens Hans Brauer seine Netze auswarf. Der See verschwand während des Kanalbaus zwischen 1887 und 1895.

Das Gewohnheitsrecht der Familie Brauer, im Schirnauer See zu fischen, wurde deshalb auf den Kanal übertragen und erstmals 1922 in einem zwölfjährigen Pachtvertrag mit dem Deutschen Reich festgeschrieben. 400 Hektar auf einer 16 Kilometer langen Kanalstrecke von Audorf bis Königsförde sind noch heute Hans Brauers Revier. "Der Vertrag wurde immer wieder verlängert - und jedes Mal wurde die Pacht erhöht", sagt er.

Dem 45-Jährigen geht es trotzdem gut. Schon lange hat er sich von der Arbeit mit Bundgarn und Schleppnetz und von der wechselhaften Natur unabhängiger gemacht. Brauer züchtet Lachsforellen, deren Rogen er nach Japan verkauft. Im Kanal fängt er vor allem Heringe und Aale. Die Fahrt zum Kieler Seefischmarkt ist für ihn indes überflüssig geworden. Der Fang kommt ganz überwiegend in der "Aalkate" auf den Tisch.

Die Gaststätte mit den gerüschten Gardinen und dem Ölschinken an der Wand ist ein lukratives Geschäft: "Ein verkauftes Bier bringt mir mehr ein und macht weniger Mühe als ein auf dem Markt verkaufter Hering", sagt Brauer. Investiert hat der geschäftstüchtige Kanalfischer außerdem in zwei Ferienwohnungen, die er an Saisongäste vermietet. So wird auch für das Auskommen von Brauers drei halbwüchsigen Töchtern vorgesorgt. "Die wollen vom Fischfang nichts wissen", sagt er achselzuckend. "Wenn keiner der künftigen Schwiegersöhne sich fürs Fischen interessiert, bin ich wohl der letzte aus der Familie."

Auch Anton Kardel hat die Fischerei im Blut. "Ich bin Fischer mit Leib und Seele", sagt der 49-Jährige gebürtige Ostpreuße. Schon vor 200 Jahren fischten seine Vorfahren in den Seen und Flüssen um Frauenburg, dem heutigen Frombork in Polen. Während des Zweiten Weltkrieges floh die Familie an die Kieler Förde. Kardels Vater schloss 1947 den ersten Pachtvertrag für die Kanalfischerei ab. Den Vertrag hat Anton Kardel 1970 übernommen. "Sein" Stück Kanal beginnt an der Holtenauer Schleuse und grenzt in Königsförde an Brauers Revier. "Wir treffen uns nie, aber wir telefonieren abends öfter mal", sagt Kardel.

Konkurrenten sind die beiden auch deshalb nicht, weil Kardel auch im Kieler Vorhafen und in der Ostsee fischt. Reibereien gibt es dagegen mit den etwa 11 000 Sportfischern, die im gesamten Kanal angeln dürfen. "Vor allem, wenn sie versehentlich meine Netze und Fangleinen beschädigen", sagt Kardel.

Eine Überfischung durch die Angler schließt Helmut Külsen, Sachbereichsleiter beim Wasser- und Schifffahrtsamt in Kiel, aber aus. Je nach Fangzahlen seien die Sportfischer verpflichtet, die Bestände aufzufüllen, sagt er. "Ein- bis zweimal jährlich werden Zuchtfische in den Kanal gesetzt. 1998 waren es 3000 Kilo Karpfen und 125 Kilo Aal."

Über ihre Fangzahlen klagen die beiden Kanalfischer nicht. Eher schon über den starken Schiffsverkehr, der oft ein blitzschnelles Einziehen der Netze erforderlich macht und Fangverlust bedeutet.

Dass die Schifffahrt, vor allem in der Nacht, schon zu gefährlichen Situationen für die Fischer geführt hat, weiß auch Külsen. Deshalb sei der dritte Berufsfischer-Posten im Kanal in Brunsbüttel/Kutensee vom Amt nicht wieder besetzt worden. Der Schiffsverkehr ist an dieser Stelle zu stark.

Ein Grund für Anton Kardel, sich Sorgen darum zu machen, dass die Berufsfischerei im Nord-Ostsee-Kanal eingestellt werden könnte, sobald er und Brauer eines Tages die Netze an den Haken hängen. Denn auch Kardels Tochter will die Fischerei nicht übernehmen.

Die Sorge um den Fortbestand der Kanalfischerei sei unbegründet, sagt Külsen. Beim Wasser- und Schiffahrtsamt lege man sogar Wert darauf, die Berufsfischerei auf dem Kanal beizubehalten. "Wenn ein Revier frei wird, können sich Berufsfischer darum bewerben."