Zehn Punkte Rückstand und der Ausfall Akinkunles stoppten die Hamburger nicht

rg Lich - Es war schon ein besonderer Abend für die beschauliche 12 000-Einwohner-Gemeinde Lich im Herzen Hessens, die sich in der Nähe Gießens sanft in die grüne, hügelige Landschaft schmiegt. In der engen und doch komfortablen örtlichen Sporthalle, gerade für 950 000 Mark renoviert und ausgebaut, wurde ungewohnter Andrang registriert. Der Turn-Verein 1860 Lich debütierte in der Basketball-Bundesliga. 1000 Besucher lockte die Premiere, so viele kamen noch nie, und selbst Bürgermeister Ludwig Seiboldt, ansonsten kein ausgesprochener Sportfan, gab sich zusammen mit Bundestags-Vizepräsident Hermann Otto Solms (FDP), der seinen adligen Namen Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich als unzeitgemäß ablehnt, diesmal die Ehre.

Es hätte ein Festtag werden können, und das Pils der örtlichen Privatbrauerei wäre wohl in der Nacht zum Sonntag in stärkeren Strömen in allen Ecken der Halle geflossen, hätten nicht neun Hamburger Basketballer ihren Einstand in der ersten Liga im allerletzten Moment ganz nach ihrem Geschmack gestalten können.

Lich 90 Punkte, BCJ Tigers 93 lautete das Resultat der um 300 Sekunden verlängerten Bemühungen, dem Mitaufsteiger einen Korb zu geben. Nach 40 regulären Minuten hatte es 84:84 gestanden, zur Halbzeit führten die Hessen mit 43:35. "Als Licher würde ich jetzt sehr traurig sein", resümierte BCJ-Kotrainer Professor Dieter Niedlich den für alle Seiten aufregenden, aber selten fehlerfreien Spielverlauf.

Die Hamburger hatten in der zweiten Halbzeit bis zu zehn Punkte Rückstand aufzuholen. Das gelang. Und hätte Kapitän Carsten Heinichen nicht neun Sekunden vor Schluss der zunächst angesetzten Bewegungszeit auch seinen zehnten Freiwurf verwandelt, der Begegnung wäre nur unwesentlich Spannung verloren gegangen. So aber erzielte Lichs Amerikaner Fred Williams im schnellen Gegenzug in letzter Sekunde noch den Ausgleich zum 84:84 und verschaffte seinem Team zumindest vorübergehenden Aufschub vor einem Fehlstart in die neue Serie. Der ließ sich schließlich nicht vermeiden, weil sich die Tigers um 22 Uhr wieder in jener bissigen Form präsentierten, in der sie die Partie zwei Stunden zuvor begonnen hatten: engagiert, aggressiv, konzentriert, zielsicher.

Die Erleichterung über den ersten saisonalen Lich-Blick verstellte den Blick für die ehrliche Analyse nicht. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Mannschaften in der ersten Liga weit aggressiver verteidigen, als wir es bisher gewohnt waren", sagte Niedlich, "zudem stimmt bei uns im Angriff die Raumaufteilung noch nicht. Wir drängen zu sehr in die Mitte und nehmen uns damit selbst den Platz." Auch der Spielaufbau litt unter dem permanenten Pressing der Licher, die einstudierten Passfolgen konnten erst spät umgesetzt werden, als der gegnerischen Innenverteidigung nach vier Fouls der vorzeitige Ausschluss drohte und sie sich deshalb in größerer Zurückhaltung üben musste. Der verletzte Playmaker Harold Deane, hofft Heinichen, soll jetzt Abhilfe schaffen: "Er wird mehr Struktur in unser Spiel bringen."

Nach seiner Leistenoperation verfolgte der US-Amerikaner die Anstrengungen seiner neuen Kollegen aufmerksam von der Ersatzbank. "Die Mannschaft hat Charakter bewiesen", urteilte er, "wie sie sich von den Rückschlägen und den ständigen Rückständen erholt hat, das hat mir schon mächtig imponiert. In der Truppe herrscht ein guter Geist." Am nächsten Sonnabend gegen Bamberg will Deane wieder selbst zum Ball greifen. Am Donnerstag erfolgt bei Mannschaftsarzt Bernd Kabelka der entscheidende Gesundheitscheck.

Bereits heute bekommt der Doktor Besuch von Deanes Landsmann Adebayo Akinkunle. Nach einem Zusammenprall mit dem Licher Jan Bokemeyer zu Beginn der zweiten Halbzeit schwoll das Auge des 24-Jährigen zu. Die gestrige Diagnose im Krankenhaus Barmbek gab jedoch Entwarnung. Auge heil, das Jochbein wohl nur geprellt. Ein blaues Auge wird zunächst bleiben. Auf diese Metaphorik hätte er indes gern verzichtet.