Schlösser und Herrensitze in Nord-Niedersachsen haben oft über längere Zeiträume hinweg in ihren Heimatregionen Macht und Einfluss gehabt. Um ihren geschichtlichen Stellenwert aufzuzeigen, stellt die Harburger Rundschau in loser Folge diese Anwesen mit Geschichte vor. Heute: Rittergut Stellichte bei Walsrode.

Von WERNER STRELOW

Die von Behr gehören seit den ältesten Zeiten zu dem bedeutendsten Uradel Niedersachsens und standen auch - wie schon die Vorgänger auf Rittergut Stellichte, die von Schlepegrell - in treuer Freundschaft zu den Lüneburger Herzögen. Von ihnen waren sie in Rethem an der Aller mit zwei Burglehen betraut und hatten als Burgmänner den Übergang über die Aller zu bewachen.

Bedeutend war auch hier ihr sonstiger Güterbesitz im Allertal um Rethem. Aber nicht nur hier und weiterhin im Lüneburger Land bis in die Hermannsburger Gegend erstreckte sich der Besitz des angesehenen Geschlechts, dessen Vorfahren schon zur Zeit Heinrichs des Löwen zu den Einflussreichsten im Lande gehörten, sondern auch im Hoyaschen, im Bistum Verden und im Erzstift Bremen lagen ihre Güter, so dass man die Grundlagen ihres Emporkommens und Ansehens unbedenklich in die Zeiten des Billunger Herzogtums zurückverlegen darf. Ein von Behr war der Bischof Hermann von Verden, Kanzler des Kaisers Barbarossa, und sein Bruder war jener Vogt Hugold von Hermannsburg, der zu den Paladinen des ruhmreichen Löwenherzogs gehörte.

Ebenso bekleideten auch Glieder des Stellichter Hauses hohe Staatsämter: So war Johann von Behr um 1590 Statthalter in Kurland und Dietrich von Behr um 1615 Geheimer Kammerrat des Herzogs Christian von Braunschweig-Lüneburg, Landdrost im Fürstentum Grubenhagen und um 1628 Großvogt zu Celle und Drost zu Hoya. Burchard Christian von Behr stand in den Diensten des Kaisers Franz I., war 1745 "Wirklicher Reichshofrat auf der Herren Bank" und später unter König Georg II. dann Minister in London.

Auch waren die von Behr seit dem 2. April 1600 - übrigens aufs Neue - mit dem Erbmarschall- und Kämmereramte des Stiftes Verden belehnt, samt allen zu solchen Ämtern gehörigen Gütern und sogenannten Gerechtigkeiten; die erbliche Würde stand dem Ältesten der Familie zu. Nach dem 30jährigen Kriege wurden aber unter der schwedischen Regierung der Familie von Behr die Ämter genommen.

Sie wurde jedoch später, am 23. Dezember 1737 auf Ansuchen des Wilken von Behr aufs neue vom König Georg I. von England und Kurfürsten von Hannover - unter dessen Regierung das ehemalige Stift als Herzogtum 1715 gekommen war - belehnt. Freilich nur "mit dem Vorrecht des Vorsitzes bei den Zusammenkünften der Verdenschen Stände".

Daneben wurde die Familie von Behr 1624 mit dem Erbküchenmeister- und Erbschenkenamt des Fürstentums Lüneburg belehnt, "jedoch ohne eines vorhin zu diesen Ämtern gehörig gewesenen Lehnguts". Trotz der einflussreichen Bedeutung, welche die Familie von Behr von altersher hatte, war es bisher nicht möglich, ihren Ursprung anzugeben. Selbst das Stammgut des Heinrich von Behr, der das Stellichter Lehen erwarb, ist bis heute nicht bekannt. Es wird aber vermutet, dass es in Rethem oder in Häuslingen lag. Auch die heute verschwundene Burg Twischensee (unweit von Häuslingen) wird als Wohnsitz der von Behr genannt.

Das von Behr'sche Wappen zeigt in einem silbernen Schilde einen gehenden schwarzen Bären, der die rechte Vordertatze in die Höhe hebt, darüber einen offenen Helm mit schwarzer und weißer Helmdecke, und auf dem Helm eine goldene Schale mit fünf Pfauenfedern und vor der Säule einen schwarzen Bären, wie er unten im Schilde steht.

Mit der Belehnung der Burg Stellichte wurde Heinrich von Behr erster Burgherr aus dem Stamm der Behr. Da sein neuer Besitz kein aufgetragenes oder geschenktes Lehen war, sondern ein gekauftes, so betrachtete er es als ein Sonderlehen für sich und seine Nachkommen. Heinrich von Behr gilt daher als der Stammvater der älternen Linie. Von ihr zweigte sich im Jahre 1613 die kurländische ab, die übrigens auch heute noch nicht ausgestorben ist.

Als Heinrich von Behr 1470 der Besitzer der Burg wurde, war er damit noch nicht der alleinige Grundherr in Stellichte. Wie bereits erwähnt, hatten auch die von Schlepegrell ebenfalls im Dorf Stellichte mehrere Höfe als Eigentum, desgleichen aber auch Johann von der Kettenburg im Rotenburgischen. Heinrich von Behr war daher von vornherein bestrebt, "die fremden Herren aus dem Orte zu entfernen". Er tauschte 1489 mit seinem Nachbarn auf der Kettenburg, gab ihm einen Hof zu Lymer und erhielt dafür dessen Hof in Stellichte und gleichzeitig den Zehnten von zwei Kämpen, von denen "eyn belegen is by dem valbeke und schut an den Stelliger sunder, de andere kamp schut upp de Harcloge (Hartloh) un gheyt vort an den rotgers hoff".

Dietrich von Behr war ein Zeitgenosse Luthers und der Lehnsmann des Herzogs Ernst des Bekenners, der bekanntlich die Reformation im Lüneburgischen förderte, so dass schon 1529 die lutherische Kirche hier die Landeskirche wurde. Bei seinem Aufenthalt in Kurland erwarb Dietrich von Behr mehrere bedeutende Güter und wurde so der Gründer der kurländischen von Behr'schen Linie. Dietrich von Behr verstarb im Jahre 1574.

Eine Besonderheit ist die Kirche Stellichte, erbaut von Dietrich von Behr dem Jüngeren. Sie entspricht mit ihrem verhältnismäßig großen Bau und der Wert - sowie kunstvollen Innenausstattung ganz der Bedeutung, welche die von Behr in früheren Zeiten hatten. Im Kirchenschiff bilden die wunderschöne, aus Holz geschnitzte Kanzel mit ihrem beachtenswerten Schalldeckel, sowie die herrliche Orgel mit ihrem harmonisch-gefälligen Äußeren eine wahre Zierde des Gotteshauses. Die weiten Wände sind vorteilhaft durch prachtvolle Gedenktafeln und Gemälde aufgeteilt. Und über dem Chor und Schiff bereitet sich abschließend eine bunte Decke aus, die schachbrettartig durch Leisten in Vierecke zerlegt und deren Mitte mit Sternen, Rosetten und Engelsköpfen geschmückt ist.

Zur aktuellen Situation sagte der heutige Besitzer des Rittergutes Stellichte, Dr. Hugold von Behr dass im November 1973 durch einen ungeheuren Orkan 90 Prozent der Altholzbestände vernichtet wurden. Neben der Landwirtschaft werde hier Forstwirtschaft intensiv betrieben, und hier besonders die Veredelung von Holz. Zum Gut gehören auch zehn Hektar Wasserfläche, hier würden zu 95 Prozent Forellen gezüchtet, doch mache dies ein Pachtbetrieb.

Der gesamte Gutshof stehe unter Denkmalschutz, besonders das alte Gerichtsgebäude, in dem früher das adelige Gericht tagte. Auf "wackelnden Füßen" stehe nach Worten von Dr. von Behr das schöne große Herrenhaus, das auf den Rammpfählen der früheren alten Burg sich befindet. Durch die Bewegung des Wassers im Burggraben kämen die Fundamente nicht zur Ruhe. Eine Stabilisierung der Rammpfähle würde rund eine halbe Million Mark erfordern und könne aus der Land- und Forstwirtschaft nicht erwirtschaftet werden. Deshalb bleibe das Herrenhaus für die Nachwelt "ein ständiger Risikofaktor", sagte Gutsbesitzer Dr. Hugold von Behr.