Er gilt als die graue Eminenz des deutschen Kinderfernsehens: Fast vier Jahrzehnte lang hat Gert K. Müntefering die Szenerie geprägt wie kein anderer. Er rief unter anderem "Die Sendung mit der Maus" ins Leben, noch heute die bei Vorschulkindern beliebteste Fernsehsendung. Gemeinsam mit Susanne Müller, der Leiterin der ZDF-Kinderredaktion, hat Müntefering die konzeptionellen Voraussetzungen für den Kinderkanal von ARD und ZDF geschaffen. Müntefering begann beim WDR am 1. Januar 1963 und wurde mit Aufbau und Leitung des Kinder- und später auch Kleinkinderprogramms betreut. Jetzt geht er mit 63 Jahren in den Ruhestand.

In der Ära Müntefering wurde das Kinderprogramm des WDR mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit einem Grimme-Preis für "Luzie, Schrecken der Straße" und zwei Bambis. Im März wurde er beim Kinder-Film&Fernseh-Festival in Gera mit einem Goldenen Spatz für sein Lebenswerk geehrt.

Als Müntefering 1963 begann, war Fernsehen für Kinder in Deutschland noch leicht anrüchig; Konzepte gab es nicht. Müntefering mußte also Pionierarbeit leisten, "Wege ins Unbekannte" suchen, wie er sagt. Schon beim Bewerbungsgespräch, erinnert er sich, habe er klargemacht: "Ich kann mir nicht vorstellen, daß Kinder nur in die Hände von Pädagogen und Kindergärtnerinnen gehören. Sie haben doch hier ein journalistisches Instrument; warum sollen wir nicht auch mit Informationen arbeiten?"

Seine ersten selbstkonzipierten Produktionen waren "Märchen raten mit Kasperle und René" (mit René Körner) und "Schlager für Schlappohren". Mitte der sechziger Jahre geriet das Kinderfernsehen in Deutschland in Bewegung. Der Hessische Rundfunk etablierte die "Augsburger Puppenkiste", der Bayerische Rundfunk profilierte sich mit dem erzieherisch wertvollen "Feuerroten Spielmobil". Gerade solche pädagogisch ausgerichteten Programme aber empfindet Müntefering auch heute noch als "gehobenes Belehrfernsehen".

Nicht für Kinder unter sechs

Er setzte sich beim WDR mit einem ungleich deutlicher an Unterhaltung orientierten Konzept durch und begann eine äußerst fruchtbare Zusammenarbeit mit den Prager Barrandov-Studios ("Pan Tau"). 1970 schließlich kam es zur Geburtsstunde jener Figur, mit der Münteferings Name untrennbar verbunden ist. Auch im Fall der "Sendung mit der Maus" galt es jedoch, interne Widerstände zu überwinden: "Wir durften zunächst nicht für kleine Kinder arbeiten. Die Intendanten der ARD vertraten den Standpunkt 'Kinder unter sechs gibt's für uns nicht'. Für die 'Teletubbies' wäre man wahrscheinlich in ein Tal ohne Fernsehen versetzt worden." Doch erneut setzte sich Müntefering mit seiner Kombination von Lach- und Sachgeschichten durch.

Der Zuspruch der Zuschauer war "immer immens; die 'Maus' ist von Anfang an geliebt worden". Zudem nutzte Müntefering die Sendung als "Laboratorium", in dem viele bekannte Trickfiguren und spätere eigenständige Reihen entstanden sind, zum Beispiel "Janoschs Traumstunde" oder "Der kleine Eisbär".

Nicht nur wegen der Einführung der Privatsender Mitte der Achtziger hat sich die Arbeit fürs Kinderfernsehen mittlerweile stark verändert: "Kinder werden heute schneller erwachsen. In den Sendern geht auch manches schneller: Während wir früher zwei Jahre über ein neues Format nachgedacht haben, werden heute in wahnwitziger Folge neue Titel auf den Markt geworfen. Wenn heute diskutiert wird, dann nur noch, weil Produktionen wie etwa die 'Power Rangers' oder die 'Teletubbies' Tabuzonen berühren."

Andererseits würde es ohne duales System womöglich keinen Kinderkanal geben. Sogar er war überrascht vom sensationellen Erfolg des Programms. Müntefering warnt allerdings davor, "den Kinderkanal zur einzigen Adresse des öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehens zu machen. Dieser methodische Irrtum wäre genauso gefährlich, als hätte man gar keinen Kinderkanal". Die Bedürfnisse der Kinder sollten zudem auch von anderen Redaktionen stärker wahrgenommen werden; "die Fernsehspiel-Redaktion interessiert sich für Kinder aber nur, wenn sie mißbraucht werden".

Unsterblicher Sinnspruch

Ergänzend zu seinem unsterblich gewordenen Spruch "Kinderfernsehen ist, wenn Kinder fernsehen" sagt Müntefering heute: "Wir müssen begreifen, daß Kinderfernsehen immer auch Fernsehen für uns Erwachsene ist, und zwar nicht nur im Sinne eines Mitguckens. Wenn der Erwachsene aufhört, Kind zu sein, dann beraubt er sich vieler Möglichkeiten der Lebenserfahrung. Kind zu bleiben heißt ja auch, die Bereitschaft zu haben, sich immer wieder überraschen zu lassen. Insofern ist die 'Maus' für mich immer auch Fernsehen für Erwachsene gewesen." Nur eines läßt Müntefering mit Wehmut zurückblicken: Die Situation des deutschen Kinderfilms hat er nicht wesentlich verbessern können. Gelegenheit, an diesem Lebensziel zu arbeiten, hat er allerdings: Er wird dem Kinderfernsehen unter anderem als Berater für die Bavaria erhalten bleiben - und "hin und wieder einen Montagsbrief an die 'Maus-Redaktion' schreiben". TILMANN P. GANGLOFF