Der Drahtzieher ist auf der Flucht. Die mutmaßlichen Komplizen sagen vor Gericht aus

Anspannung steht in den Gesichtern geschrieben, das Bemühen, die Fassung zu bewahren. Gretchen Janssen kämpft mit den Tränen, ihr Mann Werner hält ihre Hand und lächelt ihr und dem gemeinsamen Sohn Bodo zu. Ein Lächeln, das aufmunternd gemeint ist, das jedoch Erschöpfung verrät. Zuviel hat diese Familie durchgemacht, Verzweiflung und Angst erlebt - der Sohn in seiner siebentägigen Geiselhaft, die Eltern in verzweifelter Sorge, ob sie den 24jährigen je lebend wiedersehen würden. Ein Vergessen dieser furchtbaren Erlebnisse vom Juni dieses Jahres, als der Millionärssohn eine Woche lang in einem Grindelhochhaus gefangengehalten wurde, um von seinen Eltern zehn Millionen Mark zu erpressen, ist sicher unmöglich. Allenfalls ein Verdrängen. Jetzt, vor dem Landgericht, wo die Familie als Nebenkläger auftritt, wird alles wieder aufgerollt - in dem Prozeß gegen die mutmaßlichen Entführer.

Erpresserischer Menschenraub und Freiheitsberaubung wird den drei Männern auf der Anklagebank vorgeworfen. Gemeinsam mit dem mutmaßlichen Drahtzieher der Tat, dem flüchtigen Bosnier Kresimir Glamuzina (23), sollen sie an der Entführung der BWL-Studenten, der nebenbei als Model arbeitet, beteiligt gewesen sein. Der 46 Jahre alte Fadil C. und der 24 Jahre alte Milisav S. waren laut Ermittlungen die Bewacher des Opfers. Eine besondere Rolle spielt der Angeklagte Volker St., ein 34 Jahre alter Bekannter Bodo Janssens. Ihm wird vorgeworfen, den ahnungslosen Millionärssohn am 6. Juni unter einem Vorwand in das spätere Geiselversteck gelockt und dann zum Schein das zweite Entführungsopfer gespielt zu haben.

Zehn Millionen Mark Lösegeld haben die Erpresser laut Anklage von der Familie des 24jährigen verlangt und gedroht, bei Nichtzahlen würden erst Bodo Janssen und dann weitere Familienmitglieder getötet. Doch Werner Janssen, offenbar längst nicht so vermögend, wie die Täter es geglaubt hatten, konnte die Forderung runterhandeln. Drei Millionen Mark übergab der Unternehmer schließlich an weitere Tatbeteiligte im österreichischen Klagenfurt. Einen Tag später konnten Ermittler das Geiselversteck ausfindig machen, das MEK stürmte die Wohnung und befreite den völlig erschöpften Bodo Janssen. 2,5 Millionen Mark des Lösegeldes konnten in Österreich sichergestellt werden, mit den restlichen 500 000 Mark ist der mutmaßliche Drahtzieher der Tat, der sich selbst "Schakal" nennt, auf der Flucht.

Alle drei Angeklagten kündigen an, daß sie aussagen wollen. Doch der als zweiter Haupttäter und Planer des Verbrechens verdächtige Volker St., ein blasser Mann mit hoher Stirn, läßt zunächst Milisav S. den Vortritt. Und der schildert, wie er den "Schakal" zufällig kennengelernt habe, wie ihn dieser immer deutlicher zum Mitmachen bei der Entführung gedrängt habe, wie der Drahtzieher stets gesagt habe, er solle das Opfer nur bewachen, wie er von dem Mann, der mit seiner Brutalität geprahlt habe, bedroht worden sei. "Ich hatte Angst vor ihm", sagt der kräftige, großgewachsene Montenegriner aus. Der "Schakal" habe ferner erzählt, er habe die Tat mit "einem Deutschen, dem Volker, geplant. Man überlege noch, ob das Opfer abgeknallt werden müsse." Immer wieder habe er vergebens versucht, aus der Sache auszusteigen, insistiert der Angeklagte. Insbesondere, als davon die Rede war, daß es einen Toten geben könnte.

Doch auf Anweisung des "Schakals" habe er schließlich am 6. Juni mit dem Mitangeklagten Fadil C. den in die Wohnung gelockten Bodo Janssen gefesselt und zum Schein auch Volker St. Bis dahin habe er noch geglaubt, die Sache sei "verabredet, ein Spiel", behauptet Milisav S. Der Kammervorsitzende staunt: "Obwohl Sie eine scharfe Waffe hatten, trotz der Todesdrohung?" "Volker hat seine Angst besser gespielt als Bodo", entgegnet der Angeklagte. Erst in der Nacht habe er erkennen können, "daß Bodo sehr, sehr verschreckt war". Daraufhin habe er ihn beruhigt und ihm versprochen, "daß ich alles tun werde, damit ihm nichts passiert". "Moment mal, ist da nicht die Drohung im Raum, daß Bodo Janssen sterben muß", hakt der Richter nach. "Ja", gibt der 24jährige zu. Der "Schakal" habe gedroht, daß dem Opfer "ein Finger abgeschnitten wird oder ein Auge ausgestochen. Aber ich habe Bodo mein Wort gegeben, daß ihm nichts passiert. Von da an hat er keine Angst mehr gehabt."

Die meiste Zeit während der Aussage hat Bodo Janssen nahezu regungslos zugehört, konzentriert und angespannt. "Ich möchte nichts sagen, höchstens vielleicht am Ende des Prozesses", hat er in einer Prozeßpause mit zurückhaltendem Lächeln auf die Frage einer Journalistin gesagt. Aber jetzt, als der Angeklagte behauptet, daß er zum Kameraden und Beschützer des Opfers geworden sei, ist es mit der Fassung Bodo Janssens vorbei. Er schüttelt nur noch entgeistert den Kopf.